Der alte Fuchs hat es wieder geschafft. Während alle noch über die unsichere Zukunft des ehemaligen russischen Öl-Milliardärs Michail Chodorkowski spekulierten, hatte ihn Hans-Dietrich Genscher längst nach Deutschland gelotst.
Der 86-Jährige holte ihn persönlich am Flughafen Berlin-Schönefeld ab – noch bevor die Fotografen in Position waren, um das an diesem Tag begehrteste Bild zu schiessen. Chodorkowski kam mit einem Firmenflugzeug nach Berlin, das Genscher organisiert hatte.
«Gespräche mit der Familie sehr anrührend»
Immerhin ging Genscher, wenn auch nur kurz, ans Handy. Es ist 15.40 Uhr, als er auf die Frage, ob Chodorkowski neben ihm im Wagen sitze, knapp, aber bestimmt sagte: «Ja, das bestätige ich.» Beide waren auf dem Weg in die Berliner Innenstadt.
Genscher erzählte der deutschen Nachrichtensendung «ARD-Tagesthemen» später: «Ich habe im Auto, obwohl ich Russisch nicht verstehe, die Gespräche miterlebt mit seinen Familienangehörigen, das war schon anrührend.» Und: «Ich glaube, dass er jetzt durchatmen wird und darauf warten wird, dass er morgen seine Familie in die Arme schliessen kann.»
Ohne eine Bestätigung dafür erhalten zu haben, gehen Beobachter davon aus, dass Chodorkowski im Berliner Hotel «Adlon» logiert. Zumal Genscher am späten Nachmittag eben dieses Hotel verliess.
Keine Kompensationsgeschäfte, kein Schuldeingeständnis
Genscher hatte den einst reichsten Mann Russlands als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (2001 bis 2003) kennengelernt. Dessen Anwälte hätten ihn dann um Unterstützung gebeten. Zweimal habe er deswegen mit Chodorkowskis Gegner, Russlands Präsident Wladimir Putin, reden können.
Am Freitagmorgen konnte der 50-jährige Chodorkowski dann nach zehn Jahren Haft das Straflager verlassen – ein gutes halbes Jahr früher als bisher erwartet. Putin hatte seinem Gnadengesuch entsprochen. Laut Chodorkowski hat er für seine Begnadigung kein Schuldeingeständnis leisten müssen.
Dauer-Exil oder Opposition – alles ist noch offen
Der Kremlkritiker habe darum gebeten, nach Berlin zu reisen, weil in Deutschland seine an Krebs erkrankte Mutter behandelt werde, hiess es in Russland. Die alte Dame ist nach eigenen Angaben zur Zeit zwar noch in Russland, wird aber wohl zur weiteren Behandlung rasch in Deutschland zurückerwartet.
Trotz dieser Erklärungen wurde spekuliert, weshalb Chodorkowski ausgerechnet nach Berlin gekommen ist. Menschenrechtler hatten ihm bereits eine führende Rolle beim Aufbau der Zivilgesellschaft in Russland angeboten. Ob sich dieser aber dort politisch wieder betätigen kann oder sein Aufenthalt im Ausland eher zu einem Exil wird, ist derzeit offen.
-
Bild 1 von 6. Michail Borisovič Chodorkowski wurde 1963 in Moskau in einer jüdischen Familie als Sohn eines Chemikers und einer Chemikerin geboren. Mit 18 studierte er Chemie in Moskau. Er engagierte sich stets für die Politik. So gehörte er 1993 zum Beraterstab des russischen Premierministers und war stellvertretender Minister für Brennstoffe und Energie. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 2 von 6. Im April 1996 übernahm er die Führung von Jukos, dem damals zweitgrössten russischen Ölkonzern. Wenige Monate danach wurde er Mitglied des Konsultativrats für Bankwesen bei der russischen Regierung. Als sich Rosprom und Jukos 1997 zu einer Holding vereinigten, übernahm Chodorkowski deren Führung als Vorstandsvorsitzender. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 3 von 6. Chodorkowski (ganz rechts) gehörte in den 1990er-Jahren zu den wichtigsten Menschen der russischen Wirtschaft. Hier 1998 bei einem Treffen der einflussreichsten Unternehmer mit dem damaligen Präsidenten Boris Jelzin in der Duma. Bildquelle: Reuters.
-
Bild 4 von 6. Zunehmend engagierte sich Chodorkowski in der russischen Innenpolitik und finanzierte Oppositionsparteien. Schliesslich verdächtigte er die Regierung öffentlich der Korruption. Im Februar 2003 gerieten er und Putin vor laufenden Fernsehkameras über die Frage der Korruption heftig aneinander. Damit begann das Drama Chodorkowskis. Bildquelle: Reuters.
-
Bild 5 von 6. Yukos war einer der grossen Konzerne Russlands für Erdölförderung und Petrochemie und gehörte auch weltweit zu den grössten nichtstaatlichen Konzernen. Nach der Festnahme Chodorkowskis geriet das Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten. Yukos wurde im 2006 von einem Moskauer Gericht für bankrott erklärt. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 6 von 6. Im Oktober 2003 wurde Chodorkowski in Nowosibirsk festgenommen und in Moskau inhaftiert. Einem Haftbefehl zufolge soll er durch Unterschlagung und Steuerhinterziehung am russischen Staat einen Gesamtschaden von über einer Milliarde Dollar verursacht haben. 2005 sass Chodorkowski im Straflager JaG 14/10 in Krasnokamensk in Sibirien nache China ein. Bildquelle: Keystone.