Pro-russische Separatisten melden, dass erste Lastwagen des russischen Hilfskonvois in Lugansk eingetroffen sind. Dies, nachdem der Konvoi im Laufe des Freitags die ukrainische Grenze überquert hatte.
Der Chef des ukrainischen Geheimdienstes reagierte mit scharfen Worten auf den unbewilligten Grenzübertritt. Valentin Naliwajtschenko bezeichnete die Aktion als «direkte Invasion Russlands»: «Es handelt sich um militärische Fahrzeuge unter dem zynischen Deckmantel des Roten Kreuzes.» Kiew hatte dem Konvoi keine Bewilligung erteilt, die Grenze zu passieren. Das Rote Kreuz wollte den Konvoi erst begleiten, wenn die Bewilligung der Ukraine vorliege.
Kein Angriff geplant
Trotz der scharfen Worte versicherte Geheimdienstchef Naliwajtschenko, die ukrainische Armee werde den Konvoi nicht angreifen. Vielmehr werde die Ukraine Kontakt mit dem Roten Kreuz aufnehmen, «damit wir nicht der Provokation beschuldigt werden, die sogenannten Hilfslastwagen zu behindern oder mit Gewalt gegen sie vorzugehen.»
Derweil ruft das Aussenministerium die internationale Gemeinschaft dazu auf, die «illegale und aggressive Aktion» Russlands zu verurteilen. Für Premierminister Arseni Jazenjuk zeigt das Vorgehen, dass Russland sich nicht damit abfinden kann, dass sich die Ukraine in Richtung Europa bewege. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko wiederum sagte, der Grenzübertritt sei eine Verletzung des internationalen Rechts.
EU kritisiert Russland - Nato alarmiert
Bereits reagiert hat die EU. Deren Aussenbeauftragte Catherine Ashton verurteilt die russische Entscheidung, den Hilfskonvoi ohne Begleitung des Roten Kreuzes und ohne Zustimmung der Ukraine in das Nachbarland geschickt zu haben. Russland habe damit eine Grenzverletzung begangen und müsse die Entscheidung zurücknehmen, sagt Ashtons Sprecher.
Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen wirft Russland vor, mit der eigenmächtigen Entsendung des Konvois zur weiteren Eskalation der Lage beizutragen: «Die Krise, die Russland selbst geschaffen hat und weiter befeuert, wird sich dadurch nur verschlimmern.» Weiter beobachte die Allianz eine «alarmierenden Aufbau» von russischen Boden- und Lufttruppen in der Nähe zur Ukraine.
Anders sieht man die Dinge in Russland. Dort hat man das Gefühl, sich lange genug geduldig gezeigt zu haben. «Russland hat beschlossen zu handeln», erklärte das Aussenministerium in Moskau am Freitagmorgen.
«Eine Provokation»
Auch SRF-Korrespondent Christof Franzen sagt: «Moskau ist der Meinung, man habe sämtliche Forderungen der Ukraine und des Roten Kreuzes erfüllt.» Im Gegenzug werfe der Kreml der Regierung in Kiew vor, dass sie die Kämpfe intensiviere und den Konvoi nicht ins Land lassen möchte. «Das ist die eine Sichtweise», sagt Franzen und fügt an, «man kann hier aber auch von einer Provokation gegenüber der Ukraine sprechen.»
Franzen kommt zum Schluss, dass die Ukraine den Konvoi kaum angreifen werde: Andernfalls könnte Moskau die Gelegenheit beim Schopf packen, um in die Ukraine sogenannte Friedenstruppen zu schicken. Tatsächlich hat Moskau die Ukraine davor gewarnt, den Konvoi zu attackieren.
Alle Lastwagen über die Grenze
Laut Angaben des russischen Zolls befindet sich inzwischen der ganze Konvoi in der Ukraine. «Alle 280 Lastwagen sind auf die ukrainische Seite gefahren», sagte ein Sprecher des Zolls gegenüber der Agentur Interfax.
Die Führung in Kiew wirft Russland vor, die ukrainischen Zöllner von der Kontrolle der Ladung ausgeschlossen zu haben. Russland hatte ursprünglich vereinbart, die Leitung des Konvois dem Roten Kreuz zu übergeben.
Besuch von Merkel in Kiew
Die Kolonne mit rund 2000 Tonnen Lebensmitteln war am 12. August in Moskau losgefahren und hatte danach tagelang an der Grenze gestanden. Von ukrainischer Seite war anfangs der Verdacht geäussert worden, in den Lastwagen könnten auch Waffen für die Separatisten versteckt sein.
Der Grenzübertritt der Lastwagen erfolgt einen Tag vor dem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.