Nach der Rückeroberung der ostukrainischen Stadt Slawjansk aus der Hand prorussischer Separatisten hat der ukrainische Präsident Petro Poroschenko eine Fortsetzung der Offensive im Osten des Landes angekündigt.
«Dies ist noch kein vollständiger Sieg», erklärte Poroschenko, nachdem über dem Rathaus von Slawjansk wieder die ukrainische Flagge gehisst worden war. «Die Zeit für ein Feuerwerk ist noch nicht gekommen.» Die «Umzingelung der Terroristen» müsse verstärkt werden, um die Regionen Donezk und Lugansk zu «befreien».
«Die Lage ist sehr schwierig»
Poroschenko schwor die Armee und die Bevölkerung auf einen harten Kampf ein: «Ich bin weit entfernt von Euphorie. Die Lage ist sehr schwierig.» Die Separatisten hätten sich in die Grossstädte zurückgezogen, «und vor uns liegen viele Herausforderungen».
Die prorussischen Milizionäre waren in der Nacht zum Samstag aus Slawjansk abgezogen. Die Armee verzeichnete damit den wichtigsten Erfolg seit dem Beginn ihrer Offensive.
Nachhut unter Feuer
Nach ihrem Abzug verteilten sich die Kämpfer aus Slawjansk in mehrere Städte der Umgebung. Laut ukrainischem Innenministerium zog ein Teil der Milizionäre in die 260'000-Einwohner-Stadt Gorliwka südöstlich von Slawjansk weiter. Auch in Donzek trafen zahlreiche Separatistenkämpfer ein. Augenzeugen beobachten Lastwagen und Autos mit Kämpfern auf dem Weg in die Industriestadt.
Nachhuten der Aufständischen, die den Abzug ihrer Kameraden aus Slawjansk und Kramatorsk sichern sollten, gerieten am späten Samstagabend und in der Nacht unter Artilleriebeschuss. Anwohner berichteten von heftigem Trommelfeuer und Bränden in den Vororten der einstigen Hochburgen, meldete die russische Agentur Ria Nowosti.
Verteidigungslinien um Donezk
In Donezk trafen unterdessen grössere Verbände der Separatisten ein. Die Fahrzeugkolonnen, in denen auch Panzer und Schützenpanzer gesichtet wurden, erreichten am Samstagabend die Zufahrten zu der Stadt, wie die russische Agentur Itar-Tass meldete.
«Keine Angst, das sind nicht die Panzer, vor denen sie Angst haben müssen», versuchten die Separatisten, die Bevölkerung zu beruhigen. Die bewaffneten Aufständischen seien umgehend in die Verteidigungslinien rund um Donezk eingegliedert worden.
Umfangreiche Personenkontrollen
Nach Angaben der Regierung hisste das Militär zum Zeichen der Rückeroberung die ukrainische Flagge über dem Rathaus von Slawjansk. Poroschenko befahl, unverzüglich Brot, Wasser, Zucker und Fleisch in die befreiten Orte zu bringen. «Ausserdem sind bereits Arbeiter auf dem Weg, um die zerstörten Gebäude sowie Wasser- und Energieleitungen zu reparieren», betonte der Präsident.
Nach Darstellung der russischen Agentur Ria-Nowosti begannen umfangreiche Personenkontrollen in Slawjansk, zahlreiche Verdächtige seien festgenommen worden.
Moskau: Heisse Phase bald vorbei
Die Aufständischen wollten nicht von einer Niederlage reden. Die Kämpfer seien nicht vor der Armee aus Slawjansk geflohen, sondern sie hätten lediglich zum Schutz der Zivilbevölkerung die Stellung gewechselt, sagte der Separatistenanführer Andrej Purgin. «Unser Widerstand ist nicht gebrochen.»
Der Ukraine-Sonderbeauftragte des russischen Aussenministeriums, Konstantin Dolgow, rechnet mit einem zeitnahen Ende der Kämpfe. Die «heisse Phase» könne in einigen Wochen vorbei sein. «Die Überwindung dieser Krise wird aber Jahre dauern», sagte der Moskauer Diplomat. «Das Land ist zweifellos sehr tief gespalten.»
Ein von Poroschenko für Samstag vorgeschlagenes Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe fand derweil nicht statt. «Zeit, Ort und Format» eines Treffens würden beraten, dabei habe es jedoch bislang keine Fortschritte gegeben, berichtete die russische Nachrichtenagentur Interfax.
Clintons Warnung vor Putin
Als Konsequenz aus der russischen Ukraine-Politik hat die frühere US-Aussenministerin Hillary Clinton ein entschiedenes Vorgehen des Westens gefordert. Die jüngste Aggression von Kremlchef Wladimir Putin müsse mit einer gemeinsamen Reaktion beantwortet werden, sagte die mögliche US-Präsidentschaftskandidatin der «Bild am Sonntag».
«Wir können nicht zulassen, dass ein politischer Führer die Grenzen Europas nach dem Zweiten Weltkrieg neu zieht», fügte sie mit Blick auf die Aneignung der ukrainischen Schwarzmeerhalbinsel Krim durch Russland hinzu.
Über Putin sagte sie demnach: «Ich glaube, er kann gefährlich sein. Ein Mann wie Putin geht immer bis an die Grenzen.» Die Frau von Ex-Präsident Bill Clinton gilt als mögliche Kandidatin der US-Demokraten für die Präsidentenwahl 2016. Bislang lässt sie aber offen, ob sie antreten will.