In Grossbritannien ist der Machtkampf um die Partei-Spitzen von Tories und Labour voll entfacht. Bei den Konservativen lieferten sich die beiden Kandidatinnen für die Nachfolge des scheidenden Premiers David Cameron eine Debatte über Kinderlosigkeit.
Welle der Entrüstung
Energie-Staatsministerin Andrea Leadsom suggierte, sie als Mutter wäre für das Land eine bessere Regierungschefin als ihre kinderlose Konkurrentin Theresa May. Zwar sei eine Debatte, «Andrea hat Kinder, Theresa hat keine» fürchterlich, sagte Leadsom in einem Interview mit der «Times». «Aber ganz ernsthaft fühle ich, eine Mutter zu sein bedeutet, dass dir ganz viel an der Zukunft unseres Landes liegt.»
Unter den Tories löste sie damit eine Welle der Empörung aus. Leadsom bezeichnete den «Times»-Artikel daraufhin als Gossen-Journalismus und beteuerte vor laufenden Kameras vor ihrem Haus, Mutterschaft spiele keine Rolle in ihrer Wahlkampagne. Die «Times» veröffentlichte einen Mitschnitt des Interviews mit Leadsom, der landesweit in den Morgensendungen wiederholt wurde.
May selbst beliess es bei einer Twitter-Botschaft: «Gestern habe ich mein Versprechen einer sauberen Kampagne abgegeben und ich lade Andrea Leadsom dazu ein, sich diesem Versprechen anzuschliessen.»
Die Parteibasis entscheidet bis September
Die Aussenseiterin Leadsom und die favorisierte Innenministerin May sind die beiden letzten von ursprünglich fünf Bewerbern um die Nachfolge von Premierminister David Cameron. Dieser hatte nach dem Brexit-Votum am 23. Juni seinen Rücktritt als Partei- und Regierungschef angekündigt.
May und Leadsom müssen sich nun einem Votum der Parteibasis stellen, das bis zum 9. September vorliegen soll. Diejenige von beiden, die dann zur neuen Vorsitzenden der Partei gewählt wird, würde auch Premierministerin werden.
Beide Kandidatinnen haben betont, sie wollten sich für schärfere Regeln bei der Freizügigkeit für EU-Bürger einsetzen. Sowohl May als auch Leadsom kündigten für
den Fall ihrer Wahl an, die Niederlassungsfreiheit einzuschränken.
Eines der Hauptargumente der Austrittsbefürworter beim Referendum am 23. Juni war, dass Grossbritannien die Zahl der Einwanderer besser ausserhalb der EU kontrollieren könne. Die noch amtierende Cameron-Regierung bekräftigte, ein Zurück werde es nicht geben und wies eine Online-Petition von über vier Millionen Bürgern zurück, die ein neues Referendum über einen Austritt aus der EU fordern.
Machtkampf auch bei Labour
Ein Machtkampf tobt unterdessen auch bei der britischen Labour-Partei. Der seit Tagen parteiintern massiv kritisierte Labour-Chef Jeremy Corbyn wurde am Wochenende erstmals offen herausgefordert: Die Abgeordnete Angela Eagle kündigte an, sie wolle für das Amt der Parteichefin kandidieren – dann stünde in Kürze erneut eine Urwahl der Parteibasis bevor.
«Er ist kein schlechter Mann. Aber er ist kein politischer Führer», sagte Eagle über Corbyn, der als ausgesprochener Linker gilt. Unter seiner Führung habe die Partei bei den Regionalwahlen im Mai Verluste erlitten und man sei beim EU-Referendum gescheitert, eine Mehrheit für den Austritt zu verhindern. «Er ist keine Führungskraft, die uns voranbringen wird.» Eagle hatte sich erst kürzlich gemeinsam mit zahlreichen anderen Politikern aus Corbyns Schattenkabinett zurückgezogen, um so den Druck auf den Vorsitzenden zu erhöhen.
Der 67-jährige Corbyn sagte, er sei enttäuscht über Eagle. Er werde aber zu einer Urwahl antreten. Erst kürzlich hatten die Labour-Abgeordneten ein Misstrauensvotum gegen ihren Chef mit breiter Mehrheit verabschiedet – dennoch weigert sich Corbyn zu gehen. Er verweist darauf, dass die Parteibasis ihn erst im September 2015 mit breiter Mehrheit an die Spitze gewählt habe.
Zugleich zeichnet sich ein Streit darüber ab, ob sich Corbyn ohne Zustimmung der Abgeordneten überhaupt einer Urwahl der Parteibasis stellen kann. Herausforderer des Vorsitzenden benötigen dazu über 50 Stimmen der Labour-Parlamentarier. Eagle kann sich sicher sein, diese Unterstützung zu bekommen – Corbyn nicht. Der meinte allerdings bereits, als Vorsitzender benötige er keine Abgeordneten-Stimmen.