Genau vor zwei Jahren ist es dem tunesischen Volk gelungen, durch hartnäckige Proteste den langjährigen Diktator Ben Ali in die Flucht nach Saudi-Arabien zu zwingen. Auf verschiedenen Plätzen und auf dem grossen Boulevard Avenue Bourgiba mitten in Tunis finden dieses Jahr kleine Feiern statt. Aber: «Es gibt nicht eine einzige grosse Veranstaltung, die das Volk eint», sagt SRF-Korrespondent Beat Stauffer. Das Volk feiere nach politischer Ausrichtung getrennt.
Während die grosse regierende Partei Ennahda ihre Leistungen hervorstreiche, sähen die Oppositionsparteien die Lage sehr viel negativer und kritisieren die Regierung. Auch die breite Bevölkerung schätze die Lage viel schlechter ein als vor einem Jahr: «Damals hoffte man auf die baldige Ausarbeitung einer Verfassung.»
Wirtschaft liegt am Boden
Auch ökonomisch liegt in Tunesien noch vieles im Argen. Die Wirtschaft leidet unter der Krise in Europa, ihrem wichtigsten Markt. Während der Wirren der Revolution ist sie zusätzlich eingebrochen und hat sich noch immer nicht erholt.
Die Regierung hat vor einem Jahr zwar 200'000 neue Arbeitsplätze versprochen. Doch dieses Versprechen hat sie nicht einmal zur Hälfte eingelöst.
Kein Wunder, dass die Unzufriedenheit in der Bevölkerung in den letzten Monaten spürbar wächst. Vor allem in den benachteiligten Provinzen im Süden Tunesiens, wo die Arbeitslosigkeit teilweise über 50 Prozent liegt. Das schürt Probleme.
Sufi-Heiligtum angezündet
Die Lebenshaltungskosten seien gestiegen, die Sicherheitslage habe sich verschlechtert, da auch die Konflikte mit den Salafisten zugenommen hätten, sagt Stauffer. Diese seien bereit, weitere gewalttätige Aktionen zu begehen. Erst vor drei Tagen wurde ein Mausoleum eines Sufi-Heiligen in der Nähe von Tunis angezündet. Die Sufi-Tradition ist eine Strömung im Islam, die den Koran mystisch-spirituell auslegt.
Es sei davon auszugehen, dass es in Tunesien zu weiteren Protesten kommen werde, sagt SRF-Korrespondent Stauffer. «Alles hängt nun davon ab, ob es der Regierung gelingt, sich zusammenzuraufen und einen nationalen Dialog mit allen grossen Parteien zu etablieren.» Falls dies nicht gelinge, schätzt er die Lage für die kommenden Jahre als sehr schwierig ein.