SRF News: Weshalb sind die Empfehlungen der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada), Russland aus dem Internationalen Leichtathletik-Verband auszuschliessen, richtig?
Patrick Magyar: Bei dieser Ausbreitung, die Doping in Russland hat, ist es nicht möglich, dass man einfach sagt, das waren Einzeltäter. Die Wada-Untersuchung hat gezeigt, dass Funktionäre gar auf internationaler Ebene, die russische Anti-Doping-Agentur und auch die Verbandsspitze mit Trainern und Technikern verwickelt waren. Das heisst, wir reden hier von einem kriminellen System. Man muss nun dieses System in Quarantäne setzen, um alle anderen davor zu schützen.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass auch in anderen Ländern wie Jamaika oder Kenia die Doping-Bekämpfung nicht richtig funktioniert. Müssen wir hinter die Resultate der Top-Athleten dieser Nationen auch ein Fragezeichen setzen?
In Jamaika und Kenia haben wir auch Probleme. Der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees in Kenia hat sich über die Bemühungen in seinem Land sehr, sehr kritisch geäussert. Ich glaube, dass dort auch etwas passieren wird. In Jamaika ist die Sache noch einmal ganz anders. Die meisten jamaikanischen Athleten trainieren nicht in ihrer Heimat, sondern in den USA. Aber auch dort wird der Druck jetzt enorm werden, dass die Prozeduren lückenlos und sauber umgesetzt werden.
Kann man als Leichtathletik-Fan den Resultaten überhaupt noch trauen?
Das kann man schon. Es hat natürlich, wie in anderen Sportarten, Betrug in der Leichtathletik gegeben. Das Schlimme daran ist, dass praktisch jedes Resultat unter Generalverdacht steht. Man kann heute bei vielen Leuten nur dann die Hand ins Feuer legen, wenn man ihnen nahesteht und ihnen individuell vertraut. Dieser Glaubwürdigkeitsverlust ist nicht nur ein Problem der Leichtathletik, sondern des ganzen Spitzensports.
Man kann nur hoffen, dass die Leichtathletik den Fall als Chance sieht, wirklich auszumisten und reinen Tisch zu machen.
Was braucht es speziell für die Leichtathletik, damit ein nicht allzu grosser Schaden entsteht? Oder ist der längst angerichtet?
Der Schaden in der Leichtathletik ist nicht erst seit heute angerichtet. Wir haben schon früher Enthüllungen und Gerüchte gehabt. Jetzt haben wir endlich mal Belege und Beweise. Das richtig Gute daran ist, dass mit Dick Pound jemand diese Untersuchungen geführt hat, der in keiner Weise belastet ist. Man kann nur hoffen, dass die internationale Leichtathletik dies als Chance sieht, wirklich auszumisten und möglichst rasch und unerbittlich reinen Tisch macht.
Die Leichtathletik braucht Spitzenleistungen. Nur so verdienen Veranstalter und Athleten Geld. Da ist Doping doch ein naheliegendes Mittel.
Überall, wo es um Spitzenleistungen geht, gibt es Leute, die diese mit unerlaubten oder unethischen Mitteln zu erreichen versuchen. Sei es im Job oder im Sport – das wird es leider immer geben. Ich gehöre zu der Fraktion, die das nicht freigeben möchte. Ich denke hier an die jungen Menschen, die Vorbilder brauchen. Wir müssen dagegen ankämpfen und das geht nur, wenn einerseits die Repression stark genug ist, aber vor allem wenn andererseits die Leute, die bei der Bekämpfung helfen auch entsprechend geschützt werden.
Wir hatten den grossen Doping-Skandal Ende der Neunziger- und Anfang der Nullerjahre im Radsport. Jetzt kommt die Leichtathletik dazu. Was bringen uns diese Fälle für die Zukunft?
Das zeigt, dass die Behauptung der Verbände, das Problem in den Griff zu bekommen, schlicht und einfach nicht wahr ist. Die Verbände müssen diese Aufgaben abgeben. Neutrale Stellen, die unabhängig handeln müssen sich dem Problem annehmen. Die Wada könnte dies machen. Dann müsste sie aber mit unabhängigen, staatlich anerkannten Doping-Kontrolleuren bestückt sein. Verbandsleute sollten nicht mehr dort mitarbeiten.
Das Gespräch führte Matthias Heim.