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Schild der russsischen Dopingagentur
Legende: Das Schild der russischen Antidopingagentur. Keystone

Schweiz «Man hat staatliche Stellen benutzt, um Druck auszuüben»

Der Bericht der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) über Russland ist vernichtend. Russische Leichtathleten haben systematisch gedopt, das Doping-System wurde vom Leichtathletikverband, von Labors und von staatlichen Stellen gestützt. Was der Direktor der Antidoping Stiftung Schweiz dazu meint.

SRF News: Wieso wurde die Wada erst nach den Berichten der Journalisten aktiv?

Matthias Kamber

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Kamber ist Direktor der Stiftung Antidoping Schweiz. Die Stiftung wird vom Bund und von Swiss Olympic finanziell unterstützt. Zu ihrem Auftrag gehört die Durchführung von Dopingkontrollen und Ermittlungen. Des Weiteren geht sie mit Prävention und durch angewandte Forschung gegen Doping vor.

Matthias Kamber: Die Wada überprüft nur, ob ihre Reglemente eingehalten werden, sie kann nicht überprüfen, was damit gemacht wird. Wenn ein Labor die Bedingungen erfüllt, dann aber Vortests macht, sieht das die Wada nicht. Deshalb ist es wichtig, dass solche Praktiken durch die Medien enthüllt werden. Erstmals hat die Wada im vorliegenden Fall eine unabhängige Untersuchungskommission eingesetzt. Ich hoffe, sie tut das wieder, wenn wieder ähnliche Vorwürfe im Raum stehen.

Gerade das Beispiel Russland zeigt aber, dass auch die sogenannten unabhängigen Dopingagenturen nicht immer unabhängig sind.

Das stimmt mich sehr nachdenklich. Wenn die sogenannt unabhängigen Dopingagenturen zu stark von den Staaten abhängig sind, funktioniert das System nicht. Eigentlich müssten diese unabhängigen Agenturen beweisen, dass sie tatsächlich unabhängig sind. So ist es zum Beispiel bei uns: Anti-Doping Schweiz erhält zwar Geld vom Bund und von Swiss Olympics, aber beide können uns nicht vorschreiben, wann, wie und was wir testen. Doch auch in der Schweiz könnte man noch unabhängiger werden, das ist ganz klar.

Spitzenathleten werden auch international getestet. Wieso konnten die russischen Topathleten trotzdem einigermassen unbemerkt durchkommen?

Weil man ein System aufgebaut hat, das man schon aus der ehemaligen DDR gekannt hat. Man hat staatliche Stellen benutzt, um Druck auf die Labors, auf die Agentur, auf die Athleten, auf die Coaches auszuüben und hat dann auch Vortests gemacht. Und das ist das grosse Problem. Bei uns würde das nicht passieren, dass wir Athleten vortesten und dann erst ausreisen lassen. Wenn man die Athleten vortestet, dann sind sie sauber und man findet nichts.

Gerade in Russland hat sich gezeigt, dass Sportler, Sportverbände und staatliche Labors zusammengearbeitet haben, um dieses Dopingsystem aufrechtzuerhalten. Heisst das, je korruptionsanfälliger ein politisches System, desto schlechter die Dopingkontrollen?

Ja, man sieht es auch bei der Verbandsorganisation. Wenn man schaut, welche Leute teilweise in welchen Organisationen in Organen bei internationalen Verbänden drin sind, da hat man schon grosse Fragezeichen.

Im Fall von Russland ist nun das Internationale Olympische Komitee am Zug. Die Wada hat gefordert, dass Russland von den Olympischen Spielen in Brasilien 2016 ausgeschlossen wird. Denken Sie, das wird geschehen?

Die Wada selbst kann ja keinen Ausschluss bewirken. Der internationale Leichtathletikverband könnte den russischen Leichtathletikverband ausschliessen. Oder das IOK könnte Russland von den Spielen ausschliessen. Ich denke, ein gangbarer Weg wäre, dass der internationale Leichtathletikverband die russischen Athleten ausschliesst. Die dürften dann nicht an die Olympischen Spiele. Denn es ist noch nicht bewiesen, dass alle Sportarten in Russland verseucht sind.

Glauben Sie, dass das geschehen wird?

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Ich befürchte, dass der Weg nur halb gegangen wird. Dass man sie für drei bis vier Monate ausschliesst und dass sie dann bei den Olympischen Spielen wieder dabei sein werden. Das wäre ein fatales Signal, denn man kann ja nicht ein optimales System aufbauen und den Athleten sagen, ihr seid geschützt, und dann müssen sie gegen Leute antreten, bei denen man eben die Sanktionen nicht ansetzt, die man ansetzten müsste.

Ist nicht auch das Problem, dass sich das Publikum nach einem Aufschrei doch wieder für gedopte Sportarten interessiert?

Doch, das ist so. Es ist beängstigend. Wenn wir sehen, wieviel Geld und Wissen in Westeuropa in ein gutes Antidoping-System gesteckt wird, und dann kommt ein solcher Skandal. Und ich habe noch nie gehört, dass Sportler oder ein Verbandspräsident aufgestanden wäre und gesagt hat: Ich bin froh, dass wir in der Schweiz sind, wo wir kein derartiges System haben, damit wir zeigen können, dass wir sauber sind. Dann fragt man sich schon, für wen macht man eigentlich diese Arbeit? Es müsste ja für den Sport sein, für die Sportler.

Das Gespräch führte Roman Fillinger.

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