Anders als ihre Kritiker behaupten, gibt es bei der Nato kaum Kriegsgurgeln. Solche sind eher in der Politik, weit rechts im politischen Spektrum, zu finden. Auch jetzt, bei der Ukraine-Krise, gibt es niemanden am Nato-Sitz in Brüssel, der militärische Operationen in der Ukraine auch nur erwägt.
Doch Auswirkungen auf die Allianz hat der Konflikt schon. Und zwar massive. Ausgerechnet der russische Botschafter bei der Nato, Alexander Gruschko, bringt es auf den Punkt: «Ich glaube die Nato ist sehr nahe daran, eine neue – oder alte – ‹Raison d'être zu haben›.»
Wozu braucht es die Nato noch?
Tatsächlich drohte der Nato vor der Ukraine-Krise die Daseinsberechtigung abhanden zu kommen. Auf dem bevorstehenden Gipfel in Wales im September hätte man sich fragen müssen: Wozu braucht es uns noch?
Schon einmal stellte sich diese Frage; nach dem Untergang der Sowjetunion. Damals tauchte die Integration all der beitrittswilligen osteuropäischen Länder als neue Herausforderung auf. Später dann, nach den Terroranschlägen von 9/11, kam der Krieg in Afghanistan. Doch dieser Ausseneinsatz, ebenso wie jene im Kosovo oder am Horn von Afrika neigen sich dem Ende zu. Neue sind nicht in Sicht.
Hinzu kam der wachsende Unwille der Amerikaner gegen teure verteidigungspolitische Verpflichtungen, wie US-Vizeaussenministerin Wendy Sherman bestätigt.
Keine Garantie für Frieden und Freiheit in Europa
Die Ukraine-Krise stellt nun alles auf den Kopf. Zumal die Russen, anders als vor sechs Jahren in Georgien, auf der Krim beeindruckend effizient und geschickt vorgehen würden, sagt der Nato-Oberkommandierende Philip Breedlove. «Die Aktion erinnert an ein Uhrwerk.»
Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen spricht von einer Zeitenwende für das Bündnis. «Die Krise macht klar: Die Nato ist wichtiger als je zuvor.» Auf einmal sei ein freies, friedliches Europa nicht mehr garantiert.
Sein Vorvorgänger George Robertson, der heute als Lord im britischen Oberhaus sitzt, glaubt, nun würden viele europäische Länder aufwachen. Allzu sehr und allzu lange hätten sie selber bei der Verteidigung gespart. Man sei überzeugt gewesen, im Krisenfall würden die Amerikaner die Kastanien schon aus dem Feuer holen. Damit sei nun wohl Schluss.
Kürzung der Militärausgaben wohl vorbei
Der amtierende Nato-Chef Rasmussen freut sich. Erstmals überhaupt habe jetzt ein EU-Gipfel darauf fokussiert, mehr in die Verteidigung zu investieren, stellt er fest. Eine Chance für einen Neuanfang sieht auch sein Vorgänger, der Niederländer Jaap de Hoop Scheffer. In seiner Amtszeit an der Nato-Spitze hatte er die EU oft als bockig erlebt, wenn es um eine engere Kooperation mit der Militärallianz ging.
Trotz der neu empfundenen russischen Gefahr ist es unwahrscheinlich, dass westeuropäische Länder ihre Verteidigungsetats abrupt hochfahren. Anders könnte es in Osteuropa sein. Aber Rasmussen erwartet, dass wenigstens die drastischen Kürzungen der letzten Jahre vorbei sind.
Zurück zum Kalten Krieg?
Hinzu kommt die wieder stärkere Hinwendung der USA zu Europa. So oft wie in den letzten Tagen hat US-Präsident Barack Obama in seiner ganzen Amtszeit nie die Bedeutung des transatlantischen Verhältnisses beschworen. Europa und Amerika gehörten zusammen.
Mehr politische Unterstützung, mehr Aufmerksamkeit, mehr Investitionen und ein neuer Auftrag – nämlich den etwas in Vergessenheit geratenen alten Sinn und Zweck des Bündnisses: Die 28 Nato-Länder schützen. Oder wie es, erneut pointiert, Russlands Nato-Botschafter ausdrückt: «Zurück zum Kalten Krieg.» Auch wenn das nicht im Sinne der Russischen Föderation sei, wie er betont.
Das Schicksal der Ukraine führt zwangsläufig dazu, dass die Zukunft der Nato wieder klarer erscheint.