Aller Mühen und Fortschritte zum Trotz: Aids ist noch immer eine «disease of poverty», eine Armutskrankheit wie Malaria und Tuberkulose. 95 Prozent der Infizierten leben in Entwicklungsländern – und 64 Prozent davon allein in Ländern südlich der Sahara. Zwar scheinen Kampagnen und Programme dort zu fruchten, denn die Infektionszahlen nahmen in den letzten Jahren deutlich ab. In Burundi beispielsweise um 75 Prozent, in Botswana, Ghana oder Simbabwe halbierten sie sich, und sogar das HIV-Problemland Südafrika verzeichnete 40 weniger Neuansteckungen. Doch noch erhalten nur 17 Millionen der Infizierten weltweit, also weniger als die Hälfte, eine lebenswichtige antiretrovirale Therapie. Fast zwei von drei Unbehandelten leben in Afrika.
Und so bleibt Überleben oder Sterben eine geographische Frage. Das Problem ist nicht nur das HI-Virus allein, sondern entscheidend sind die Lebensumstände. Denn am häufigsten sterben Menschen mit der erworbenen Immunschwäche schlussendlich an Tuberkulose, die in Afrika im Gegensatz zum Rest der Welt wieder häufiger wird. Das Zusammenspiel von HI- und TB-Viren ist tückisch: Einerseits fördert eine HIV-Infektion den Ausbruch schlummernder TB-Viren, andererseits fördert eine Tuberkulose-Erkrankung die Vermehrung von HI-Viren und beschleunigt damit die Verbreitung und das Fortschreiten der Aids-Erkrankung.
Armutskrankheiten als Eintrittspforte
Viele Experten sind deshalb der Meinung, dass Aids nur in Kombination mit anderen Armutskrankheiten bezwungen werden kann – und mit einer Verbesserung der Hygiene: Durch verschmutztes Wasser tragen viele Menschen Parasiten in sich, die das Immunsystem strapazieren und HIV Tür und Tor öffnen. Das gleiche gilt für Malaria: Ein geschwächtes Immunsystem kann dem HI-Virus schlechter trotzen. Verbreitete Genitalinfektionen mit Parasiten sorgen für kleine Läsionen der Schleimhäute, durch die das Virus besser eindringen kann.
Ist es zu einer HIV-Ansteckung gekommen, könnten ein rascher Aidstest und eine anschliessende Behandlung Leben retten. Doch die Tests sind nicht überall zugänglich. Selbst wenn, entscheiden sich viele aus Angst vor der Stigmatisierung dagegen. Rund die Hälfte aller Infizierten weiss so nach Schätzungen der WHO nicht, dass sie HIV-positiv ist – und steckt dann andere an. Denn bis zu den ersten Anzeichen vergehen gut und gerne fünf bis zehn Jahre. Und diese ersten Symptome sind so diffus, dass sie auf alle möglichen Erkrankungen hinweisen könnten. Doch je früher die Therapie beginnt, desto besser.
Optimistischer sieht die Lage bei den Frauen aus. Diejenigen, die sich Schwangerschaftsuntersuchungen unterziehen, bekommen in der Regel auch automatisch HIV-Tests. Sieben von zehn infizierten Schwangeren erhalten anschliessend eine entsprechende Therapie – auch zum Schutz ihres Babys.
Lieferengpässe und Resistenzen
Immerhin gibt es inzwischen Generika, die auch für den afrikanischen Raum erschwinglich sind – aber nicht für alle. Regierungen und Hilfsorganisationen sind deshalb gefragt. Zwar sind Medikamente der ersten Generationen schon für 80 US-Dollar pro Jahr und Patient erhältlich. Sie sind aber mit schweren Nebenwirkungen verbunden. Betroffene sind zudem in regelmässigen Abständen auf andere oder neuere Medikamente angewiesen, denn die HI-Viren können Resistenzen bilden – etwas, das in Afrika inzwischen vielfach der Fall ist. Dann ist ein schneller Wechsel lebensnotwendig und der kostet: 3000 US-Dollar kommen dann für die medikamentöse Therapie pro Patient und Jahr schnell zusammen, solange ein Medikament noch patentgeschützt ist. Zu teuer in vielen Fällen.
Werden die Medikamente dazu nicht absolut pünktlich und zuverlässig eingenommen und Arzttermine wahrgenommen, steigt das Risiko weiter. Schon eine um 48 Stunden unterbrochene Medikamenteneinnahme kann folgenreich sein. Oft liegt das Problem nicht einmal bei den Infizierten: Regelmässige Lieferengpässe in afrikanischen Apotheken verschärfen das Problem. Noch gibt es also viele Hürden zu überwinden, wenn Aids, wie es sich die WHO wünscht, bis 2030 ausgerottet werden soll – nicht nur in Afrika.