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International Libyen versinkt im Chaos

In Libyen herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände, das Land ist gespalten. Radikale Islamisten breiten sich immer weiter aus, darunter auch die Terrormiliz IS. Eine Lage-Einschätzung von Libyen-Experte Wolfram Lacher.

SRF: Wie stark ist die Miliz des sogenannten Islamischen Staates (IS) inzwischen in Libyen?

Wolfram Lacher

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Der Politologe und Arabistiker Wolfram Lacher ist Libyen-Experte bei der Stiftung Politik und Wissenschaft SWP in Berlin.

Wolfram Lacher: Bisher ist der IS in Libyen ein marginaler Akteur. Allerdings zieht er mit spektakulären Aktionen und Videos viel Aufmerksamkeit auf sich. Faktisch ist der IS nur in den zwei Städten Sirte und Derna eine wichtige militärische Kraft, wobei er sogar dort mit anderen Dschihadisten rivalisiert. Zudem ist der IS in Bengasi präsent.

Was bedeutet der Machtzuwachs des IS in Libyen für das Land?

Das recht schnelle Wachstum des IS – und übrigens auch anderer dschihadistischer Gruppen in Libyen – bedeutet, dass das Geschehen dort zunehmend von Akteuren geprägt ist, mit denen keine Verhandlungslösung mehr vorstellbar ist. Das ist eine grosse Gefahr für Libyen. Andererseits kann gerade diese Situation auch eine Chance für das Land sein: Dann nämlich, wenn die beiden Lager im Bürgerkrieg [die Tobruk- und die Tripolis-Regierung, Anm. d.Red.] sich dieser Gefahr bewusst werden und sich auf eine Einheitsregierung einigen, um den IS zu bekämpfen. Die Präsenz des IS bedeutet ausserdem, dass westliche Politik gegenüber Libyen zunehmend durch den Imperativ der Terrorbekämpfung definiert wird. Dadurch aber dürften die Versuche einer politischen Lösung der Konflikte im Land in den Hintergrund rücken. Das wäre fatal.

Ist es denkbar, dass der IS in Libyen innert kurzer Zeit grosse Gebiete kontrollieren könnte, wie bereits in Syrien und Irak?

Gespaltenes Land

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In Libyen konkurrieren zwei Regierungen um die Macht: International anerkannt ist die Regierung in der ostlybischen Stadt Tobruk. Die von Islamisten dominierte Gegenregierung in Tripolis wird international hingegen weitestgehend abgelehnt. Unter UNO-Vermittlung kam es Anfang Februar erstmals zu Gesprächen, doch der Dialog ist ins Stocken geraten.

Das halte ich trotz der Stärke der dschihadistischen Gruppen dort für unwahrscheinlich. Libyens politische Landschaft und auch die territoriale Kontrolle ist seit dem Sturz Gaddafis 2011 in lokale Einflusssphären zersplittert. Zwar haben sich in einigen Städten Dschihadisten etablieren können. Meist gelang es ihnen aber nicht, beispielsweise die Nachbarstadt ebenfalls unter Kontrolle zu bringen.

Bislang gab in Libyen vor allem die islamistische Miliz Ansar al-Scharia zu reden. Wird nun der IS die Hauptrolle unter den Dschihadisten übernehmen oder ist sogar denkbar, dass die diversen Milizen zusammenspannen?

Bereits haben sich Teile der Ansar al-Scharia dem IS angeschlossen, andere Teile versuchen, unabhängig weiter zu agieren. Andere dschihadistische Gruppen sind sogar mit dem IS in Konflikt geraten. Die Hochburgen der Ansar al-Scharia sind mit Derna, Sirte und Bengasi die gleichen wie jene des IS. Beide Gruppen stützen sich also auf die gleiche soziale Basis.

Manche Beobachter befürchten, dass Libyen zu einem gescheiterten Staat, zu einem «Somalia am Mittelmeer» werden könnte. Teilen Sie diese Einschätzung?

Einen zerfallenen Staat, dessen Gebiet in lokale Einflusssphären zersplittert ist, haben wir in Libyen bereits. Auch dschihadistische Gruppen haben – wie in Somalia – bereits Fuss gefasst. Auch ist es leider wohl realistisch, dass das Chaos in Libyen ebenso lange anhalten wird wie in Somalia.

Das Gespräch führte Marlen Oehler.

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