Stramme Soldaten, blitzende Fregatten, röhrende Kampfflieger: Videos zur Glorifizierung der Streitkräfte haben Konjunktur im russischen Fernsehen und auf Webseiten. Die Botschaft lautet: So sieht Stärke aus!
Doch ist Wladimir Putins Russland tatsächlich auf dem Weg zurück zur militärischen Supermacht? Führende Militär- und Strategieexperten antworten bemerkenswert einhellig: Nein.
Henry Boyd vom Londoner Strategieinstitut IISS spricht bloss von einer «Regionalmacht». Die russische Armee sei zwar stark und nach wie vor eine der grössten der Welt. Sie wäre aber nicht imstande, überall auf der Welt Kriege zu führen.
An der Grenze steht die Elite
Gleichwohl sind die inzwischen gut 40'000 Soldaten, die Putin an die Grenze zur Ukraine beordert hat, sehr ernst zu nehmen, betont Professor Stefan Hedlund von der Universität Uppsala in Schweden. Denn dies seien die besten Truppen, die Russland habe: Gut gerüstet, gut bezahlt, trainiert, diszipliniert, eine eindrückliche Streitmacht. Das sei kein Vergleich mit dem desolaten Haufen, den Russlands Streitkräfte noch vor wenigen Jahren darstellten.
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Denn seither erhöhte Moskau das Armeebudget kräftig. Nun beginnt eine grosse Armeereform zu greifen – weg von der Masse, hin zur Qualität. Jean-Pierre Maulny, Vizedirektor der französischen Strategiedenk-Fabrik Iris ist überzeugt: «Gegen die an der Grenze mobilisierten russischen Truppen hätte die ukrainische Armee nicht den Hauch einer Chance. In weniger als einer Woche wäre sie besiegt.»
Soldaten würden andernorts fehlen
Dennoch wäre es dumm von Putin, seine Soldaten loszuschicken, sagt Pál Dunay vom Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik. Sie würden zwar siegen, aber hernach in einen zähen, opferreichen Guerillakrieg verwickelt. Und: Russland hätte dann seine schlagkräftigsten Truppen plötzlich im Ausland.
Das heisst, die Elite der Armee stünde für andere sicherheitspolitische Herausforderungen oder Ambitionen nicht mehr zur Verfügung. Nicht für Russlands forsch deklarierte Ambitionen in der Arktis, nicht für Sicherheitsprobleme im Osten oder im Süden nach dem Nato-Abzug aus Afghanistan.
Besonders die Generäle lehnten deshalb einen offenen Krieg in der Ukraine entschieden ab, sagt Hedlund. Hinzu komme, dass der Rest der Armee, das Gros der rund 850'000 Mann, nach wie vor nicht sonderlich beeindrucke.
Doch Putin braucht seine Elitetruppen gar nicht in die Schlacht zu werfen. Die Experten sind sich einig: Ob in der Ukraine, in Transnistrien, in Weissrussland oder im Kaukasus, Moskau dürfte seine Ziele voll und ganz mit wirtschaftlichem Druck, propagandistischer Einschüchterung und ein paar Sonderkommandos erreichen.
Gefahr der Eskalation bleibt
Ganz anders sähe die Situation aus, wenn die russische Führung durch ihre Erfolge in einen Machtrausch geriete und sich verleiten liesse, auch Nato-Staaten, etwa im Baltikum zu destabilisieren und anzugreifen, sagt Jean-Pierre Maulny.
Dann, aber erst dann, würde die Nato militärisch eingreifen. In einem solchen Schlagabtausch wäre Russland krass unterlegen, selbst gegen die europäischen Nato-Länder allein, ohne US-Schützenhilfe, glaubt Henry Boyd vom IISS. Unterlegen zumindest auf dem Papier, schränkt er ein. Denn neben der militärischen Stärke spielen auch Entschlossenheit und Skrupellosigkeit eine Rolle.
Der Schwede Hedlund schliesst gar einen Nuklearschlag nicht aus. Die Führung in Moskau habe nie verhehlt, dass das eine Option wäre. Eine solche Eskalation wäre verheerend. Doch zurzeit ist sie äusserst unwahrscheinlich, betonen alle befragten Experten. Zumal das Putin-Regime bisher durchaus vorsichtig, geschickt und nüchtern handelt und damit erfolgreich ist.