In Köln herrschte der Ausnahmezustand. Laut der Polizei kamen über 30'000 Demonstranten nach einem Marsch durch die Kölner Innenstadt zu einer Kundgebung zusammen. Die veranstaltende Alevitische Gemeinde sprach von über 50'000 Teilnehmern.
«Stoppt den Diktator Erdogan», forderten sie auf Plakaten. Manche skandierten sogar «Mörder» und «Faschist». «Erdogan, du bist nicht willkommen», stand auf Transparenten.
Viele Demonstranten warfen dem türkischen Regierungschef vor, Menschenrechte einzuschränken und Minderheitenrechte zu missachten. Die Meinungsfreiheit in der Türkei werde immer weiter beschnitten.
Grosses Polizeiaufgebot
Gegner und Anhänger Erdogans reisten auch zu Tausenden auch aus europäischen Nachbarländern wie Frankreich, Belgien, Österreich oder den Niederlanden an.
Die Polizei war mit Hundertschaften vertreten, um Zusammenstösse zwischen beiden Lagern zu verhindern. Bis zum späten Nachmittag blieben die Proteste friedlich, wie die Polizei mitteilte. Allerdings war die Stimmung aufgeheizt.
Menschenmassen vor dem Rednerpult
Erdogan erschien am frühen Abend unter dem Jubel von 15'000 Anhängern in der Lanxess-Arena. Viele schwenkten die rote Halbmond-Flagge und riefen vor Erdogans Rede: «Die Türkei fühlt sich mit dir geehrt».
Während seiner Rede kritisierte der Ministerpräsident die Berichterstattung deutscher Medien über das Bergwerksunglück von Soma.
Manche hätten versucht, das Unglück für sich auszuschlachten und die türkische Regierung beleidigt. Eine Zeitschrift habe sogar die Schlagzeile gebracht «Zum Teufel mit Erdogan». «Wie das wohl geschehen soll?», fragte Erdogan unter empörten Rufen der Zuhörer.
Auch in der Türkei versuchten einige Kräfte, die Situation auszunutzen und hätten zum Teil illegale Aktionen unternommen, sagte Erdogan.
Wahlkampf in Deutschland
Dass sich Erdogan keine zwei Wochen nach dem schweren Grubenunglück von Soma mit 301 Todesopfern nun Zeit für einen Deutschland-Trip nehme, sei unverzeihlich, meinten viele. Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte Erdogan mehrfach zu Zurückhaltung auf. Martin Schulz, der SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl, sagte in Frankfurt: «Ich habe das Gefühl, er ist auf der Flucht vor Problemen in der Türkei.»
Es gilt als wahrscheinlich, dass der 60-Jährige Erdogan im August erneut für das Präsidentenamt kandidieren wird. Dabei können erstmals auch fast 1,5 Millionen Türken in Deutschland ihre Stimme abgeben.
Offiziell sollte Erdogan zum zehnjährigen Bestehen der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) sprechen, die als verlängerter Arm seiner Partei AKP gilt. Die Türkische Gemeinde in Deutschland und die meisten anderen gehen aber davon aus, dass Erdogan den Wahlkampf aufnimmt.