Hunderttausende wandern derzeit über die Balkanroute nach Europa. Diese Krise hat die andere Flüchtlingsroute über Afrika und das Mittelmeer etwas in den Hintergrund treten lassen. Doch auch auf diesem Weg sind noch immer viele Menschen unterwegs.
Um etwas dagegen zu unternehmen, treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU heute und morgen auf Malta mit zahlreichen Amtskollegen afrikanischer Länder zum Sondergipfel. Bei dieser Gelegenheit soll ihnen der so genannte «More-for-more»-Ansatz schmackhaft gemacht werden. Das heisst: Wer kooperiert, wird belohnt. Spanien setzt bereits seit einiger Zeit auf dieses Geschäft.
Blenden wir zurück in den Sommer 2005: Das Verhältnis zwischen Spanien und Marokko ist angespannt. Spanien verlangt von Marokko, härter gegen Migranten vorzugehen, die illegal nach Spanien gelangen wollen. In dieser Situation versuchen Tausende, die Grenzzäune der beiden spanischen Enklaven Ceuta und Melilla zu überwinden. Spanische und marokkanische Polizisten schiessen auf Migranten. Es gibt gegen 20 Tote.
Da habe Spaniens König persönlich den marokanischen König aufgefordert, die Grenzen zu den beiden Enklaven und die Küste besser zu kontrollieren, erinnert Migrationsexperte Mehdi Lahlou von der Universität Rabat. Im Gegenzug habe die spanische Regierung Zehntausenden illegal im Land lebenden Marokkanern Papiere gegeben.
Ausweichroute über Mauretanien ebenfalls unterbunden
Die Zusammenarbeit zwischen Spanien und Marokko verbesserte sich. Für die Migranten wurde es allerdings immer schwieriger, von Marokko aus nach Spanien einzureisen. Sie mussten sich neue Routen suchen: Sie versuchten von weiter südlich – von Mauretanien aus – die Kanarischen Inseln zu erreichen. Tausende wagten in kleinen Fischerbooten den Weg über das Meer.
Nun ging Spanien mit Mauretanien noch einen Schritt weiter als bei Marokko. Spanische Grenzpolizisten interventierten auch direkt in Mauretanien, um die Küste zu kontrollieren und Flüchtlingsboote abzufangen. Als Belohnung für die Kooperation erhöhte Spanien die Entwicklungshilfe für Mauretanien massiv.
Attraktivität von Europa gebremst
Für Spanien war diese «More-for-more»-Politik ein Erfolg. Heute sind diese Routen weitgehend zu: Es kommen deutlich weniger Migranten von Marokko und Mauretanien und auch von Senegal aus nach Spanien. Für die Migranten bedeutete dies, dass sie sich eine neue Route nach Europa suchen mussten. Es ist die ungemein gefährlichere Route über Libyen mit Ziel Italien.
Die Politik Spaniens gegenüber den Ländern Nordafrikas habe noch etwas anderes bewirkt, ergänzt Florian Trauner, Migrationsspezialist und Professor an der Freien Universität in Brüssel: Viele Migranten, die von südlich der Sahara nach Nordafrika zögen, würden dort Arbeit finden und blieben dort. Illegal zwar, aber viele wollten gar nicht weiter nach Europa.
Zwiespältige Politik
Spanien und auch andere europäische Länder erhöhten sicherheitshalber trotzdem den Druck auf Nordafrika, gegen Migranten vorzugehen. Das habe gewirkt, sagt Trauner: Mauretanien und andere Länder griffen die Migranten mit oft ungeregeltem Aufenthaltsstatus auf und schöben sie weiter südlich in Afrika ab – um ihren europäischen Partnern zu zeigen, dass sie tatsächlich etwas machten.
Die Bilanz ist also zwiespältig. Gleichwohl gilt die spanische Politik heute als Vorbild. Wenn die EU nun den «More-for-more»-Ansatz im grossen Stil auf die afrikanischen Länder anwenden möchte, wird man genau hinschauen müssen, ob mit der zusätzlichen Entwicklungshilfe die Lebensbedingungen von Millionen Menschen tatsächlich verbessert werden. Oder ob lediglich der Druck auf Migranten allgemein erhöht wird und vor allem die Grenzen besser gesichert werden.