In Irak hat die Armee Anfang Woche eine Offensive gestartet, um die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) aus der Stadt Falludscha zu vertreiben. Doch die Vertreibung des IS aus einer Stadt reicht noch nicht, damit auch die Normalität zurückkehrt. Das zeigen zum Beispiel die Städte Sindschar und Ramadi, wo bereits vor Monaten die letzten IS-Kämpfer vertrieben worden sind. NZZ-Korrespondentin Inga Rogg war diese Woche in Sindschar.
SRF News: Inga Rogg, ein knappes halbes Jahr nach der Vertreibung des IS: Wie ist die Situation in Sindschar?
Inga Rogg: Sindschar ist heute eine Geisterstadt. Die Stadt ist grösstenteils zerstört, man läuft durch Ruinenfelder. Die Häuser sind zerbombt. Das Einzige, was man in Sindschar sieht, sind verfeindete kurdische Kämpfer und ab und zu Plünderer – ansonsten ist so gut wie niemand in dieser Stadt.
Wenn Sie von einer Geisterstadt sprechen: Wie ist die Sicherheitslage. Gibt es noch Kämpfe?
Der IS ist immer noch südlich und im Norden um den Sindschar-Berg herum stationiert. Südlich der Stadt gibt es ständig Angriffe. Die kurdischen Kämpfer der Peschmerga schlagen diese aber zurück oder fordern US-Luftangriffe an. Diese können in wenigen Minuten erfolgen. Es kommt aber auch der Konflikt zwischen den Kurden dazu, der sich in der ganzen Region abspielt.
Gibt es denn eine Perspektive, damit die Menschen, die einst in Sindschar lebten, in die Stadt zurückkehren können?
Hierfür müsste erst der Wiederaufbau vorankommen – und dann müsste vor allem der Konflikt zwischen den kurdischen Parteien, die um die Kontrolle kämpfen, gelöst werden. Dieser Konflikt wird auf dem Rücken der Jesiden (Tausende Jesiden mussten im August 2014 aus der Stadt flüchten, Anm. d. Red.) ausgetragen. Die Jesiden aber fordern internationalen Schutz, um ein weiteres Massaker wie im August 2014 zu verhindern.
Aber die Aussichten, dass es soweit kommt, sind zurzeit nicht gut.
Im Moment schaut es nicht danach aus. Die Jesiden haben verhindert, dass es zu Kämpfen zwischen den kurdischen Fraktionen kommt. Es spielt aber auch der Konflikt zwischen dem kurdischen Regionalstaat hier, genauer gesagt zwischen dessen Präsidenten Masud Barzani und der PKK, eine Rolle. Dieser Konflikt spielt sich über die Grenzen hinweg auch in Syrien ab.
Sie waren auch in anderen Regionen, die vom IS befreit wurden, unterwegs. Wie sieht es beispielsweise in der Stadt Ramadi aus?
Auch Ramadi ist, nach allem was ich höre, weiterhin eine Geisterstadt. Es bräuchte Millionen, um die Stadt wieder aufzubauen und es müssten aber auch – ähnlich wie in Sindschar – die lokalen Konflikte gelöst werden. In Ramadi ist es ein Konflikt zwischen sunnitischen Arabern: zwischen Stämmen, die auf der Seite des IS gekämpft haben und Stämmen, die gegen den IS gekämpft haben.
Die irakische Armee hat eine Offensive gestartet, um auch die Stadt Falludscha aus den Händen des IS zu befreien. Stellen sich ähnliche Herausforderungen wie in Sindschar und Ramadi?
Im Moment steckt die Offensive auf Falludscha fest. Man darf nicht vergessen, dass Falludscha immer eine Untergrundhochburg war – der IS hat auch dort Unterstützung. Von daher wird sich diese Offensive hinziehen und wenn der IS vertrieben ist, stellt sich die Frage, wie diese Konflikte, die auch zur Stärke des IS beigetragen haben, gelöst werden. Da geht es auch ganz konkret um den Konflikt zwischen der schiitisch dominierten irakischen Regierung und den Sunniten. Denn es beteiligen sich schiitischen Milizen am Angriff auf die sunnitische Stadt.
Das Gespräch führte Daniel Eisner.