SRF News: Sie sind seit zwei Jahren im Amt. Seither haben sich die Beziehungen zu Russland massiv verschlechtert. Was machen Sie falsch?
Gernot Erler: Wir haben in der Vergangenheit nicht genau zugehört, wenn Russland über Probleme und Frustrationen gesprochen hat. Ich denke da etwa an die berühmte Putin-Rede an der Münchner Sicherheitskonferenz 2007, als er seine negative Sicht der westlichen Politik geradezu wütend hinausgeschrien hat. Wir zogen daraus keinerlei politische Konsequenzen. Das war ein Fehler.
Muss der Westen also seine Strategie ändern?
Wir dachten, wir gingen mit Russland konstruktiv um. Es gab Partnerschafts- und Kooperationsabkommen und jährliche Gipfeltreffen. Dazu kam von Deutschland das Angebot der Modernisierungspartnerschaft. Wir machten uns bei den Energieressourcen sogar abhängig von Russland. Dabei haben wir nicht gesehen, dass das alles aus russischer Sicht von der Osterweiterung von Nato und EU sowie dem Kosovo- und dem Irakkrieg überlagert wurde. Alle die sogenannt farbigen Revolutionen wurden in Russland als Ausnutzung von Schwäche verstanden.
Sie sagen selbst, dass Russland ist als Partner unberechenbar sei. Wie muss man das verstehen?
Das ist eine jüngere Erscheinung. Aber wenn man sich anschaut, was in der Ukraine passiert, und sich Moskau sich nicht an Regeln und Prinzipien hält, die es einmal selber unterschrieben hatte – Helsinki-Schlussakte von 1975, die Charta von Paris von 1990, das Budapester Memorandum – fragt man sich, welche Regeln überhaupt noch gelten.
Vom Treffen in Berlin mit Putin rechnen Sie mit einem starken und konkreten Signal in Bezug auf die Ukraine. Was erhoffen Sie sich?
Im Vorfeld des Gipfels wurde sehr gründlich gearbeitet, sonst hätte er gar nicht stattfinden können. Schliesslich will man einen Schritt nach vorn machen und dem Publikum nicht sagen müssen, es sei alles umsonst gewesen. Eine wichtige Rolle spielt immer noch, ob wir es endlich schaffen, den Waffenstillstand in der Ukraine umzusetzen. Dazu gibt es ein Entflechtungskonzept, an dem viel gearbeitet worden ist. Auch bei politischen Punkten wie der Inkraftsetzung des Sonderstatus- und des Kommunalwahlgesetzes gab es viel Vorarbeit. Ich hoffe, diese Vorarbeit wird nun genutzt für ein Signal von höchster Stelle, von den Staats- und Regierungschefs.
Aus russischer Sicht wurden alle unsere Bemühungen von der Nato- und EU-Osterweiterung überlagert.
Ist das nicht ein bisschen blauäugig, wenn man die vergangenen Monate und Jahre anschaut?
Das letzte Treffen im sogenannten Normandie-Format fand am 2. Oktober letzten Jahres in Paris statt. Auch damals gab es Fortschritte. Leider gab es ein paar Monate später auch wieder Rückschritte. Vielleicht gelingt es diesmal, die Türe für eine politische Lösung des Ukraine-Konflikts ein wenig weiter aufzustossen. Man muss es einfach versuchen.
Putin ist wegen des militärischen Engagements in Syrien international massiv in der Kritik. Macht Deutschland Putin jetzt nicht einen Gefallen, wenn es ihn empfängt?
Man kann es auch umgekehrt sehen: Gestern unterbrach Russland die Luftangriffe auf Aleppo, morgen soll eine achtstündige Waffenruhe stattfinden. Dies war die internationale Forderung, für die viel Druck aufgebaut und Kritik an Russland geübt wurde. Jetzt hat Russland im Sinne der internationalen Forderung reagiert. Die russische Politik hat vor dem Treffen in Berlin also auch ein Stück Entspannung zustande gebracht. Das könnte helfen.
Ein «Zückerchen» bedeutet für die Menschen in Aleppo eventuell eine Überlebenschance.
Das hatten wir vor anderen Treffen doch auch schon: Man hat den Eindruck, Putin tanze dem Westen auf der Nase herum und er wisse ganz genau, wann und wie er ein Zückerchen geben muss, damit er seine Interessen durchsetzen kann. Müsste man nicht einfach erkennen, dass sich die Zeiten geändert haben und es neue Antworten braucht?
Das kann man so interpretieren. Aber auf der anderen Seite stehen die Menschen in Aleppo. Und ein «Zückerchen» bedeutet für sie eventuell eine Überlebenschance. Schon wenn bloss eine kleine Erleichterung für das barbarische Schicksal dieser Menschen zustande gekommen ist, dann ist mir egal, wie man das nennt.
Sie haben selber gesagt, Russland nehme an dem Treffen in Berlin teil, um nicht in der Schmuddelecke zu stehen. Was kann ein Besuch in Berlin ändern?
Die UNO hat schon mal begrüsst, dass die Luftangriffe der Russen und Assads auf Aleppo eingestellt wurden. Was sollen wir tun? Es gibt auch in der Ostukraine jede Woche Tote und Verletzte, es geht einfach nicht voran. Wir wissen, dass ein solches politisches Treffen wie jetzt in Berlin einen Anstoss geben kann, dass die Umsetzung des Minsker Abkommens endlich ernst genommen wird. Das fängt mit dem Waffenstillstand und der geschilderten Strategie der Entflechtung an. In Verantwortung vor den Menschen in der Ostukraine muss man diese Chance zu nutzen versuchen.
Was halten Sie von neuen Sanktionen gegen Russland, die Merkel vor dem Gipfel wieder ins Spiel gebracht hat?
Davon halte ich nicht viel. Schon seit zwei Jahren sind Sanktionen in Kraft, doch Sanktionen bringen höchsten mittel- oder langfristig etwas. Doch wir müssen kurzfristig Ziele erreichen – humanitäre Korridore, Waffenstillstand, eine Einstellung der Luftangriffe – um den Menschen vor Ort zu helfen. Das ist mit Sanktionen nicht zu erreichen. Offenbar waren der internationale Druck und die heftige Kritik an Russland viel wirksamer, damit nun wenigstens eine dreitägige Atempause für die Menschen in Aleppo kommt. Neue Sanktionen brächten auch eine weitere Verhärtung der Situation, was man derzeit nicht gebrauchen kann. Es braucht eine Öffnung eines Weges zurück an den Verhandlungstisch. Dafür ist auch eine minimale Bereitschaft der russischen Seite nötig. Ob man die mit einer Androhung weiterer Sanktionen herbeiführt, daran habe ich so meine Zweifel
Das Gespräch führte Samuel Wyss.