Wenn die Kenianerin Lydiha Kitoi mit Bauch-, Kopf- oder Fussschmerzen in ihrem Dorf zum Arzt geht, ist die Therapie meistens vorhersehbar: «Fast immer gibt es Schmerzmittel und Antibiotika. In den meisten Fällen wird man damit nicht gesund», sagt sie. Für eine seriöse Diagnose mit Hilfe eines Röntgenbildes oder einer Blutuntersuchung hätten die meisten Leute kein Geld.
Schmerzmittel und Antibiotika sind in Kenia eine der häufigsten Therapieformen. In den meisten Fällen sind sie nutzlos, fast immer schädlich. Therapeutisch sinnvolle und wirksame Medikamente kann sich in Afrika nur die wohlhabendste Schicht leisten.
Medikamente gegen chronische Krankheiten
Doch nun zeigt sich Novartis nun von der grosszügigen Seite, nachdem der Pharmariese noch vor einigen Jahren gegen Entwicklungsländer prozessierte, die im gesundheitlichen Notstand ohne Lizenz überlebenswichtige Medikamente kopieren liessen. Novartis-Verwaltungsratspräsident Jörg Reinhardt offeriert der kenianischen Regierung 15 Medikamenten gegen chronische Krankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck zum Preis von knapp einem Franken pro Behandlung und Monat. Das können sich sogar die ärmsten Kenianer leisten.
«Dies ist unsererseits kein Umdenken, sondern eher eine Weiterentwicklung», sagt Reinhardt. Novartis werde weiterhin rechtlich gegen Verstösse gegen das Patentrecht vorgehen. Denn ohne den Patentschutz könnten die Investitionen, die für neue Medikamente nötig seien, nicht wieder hereingeholt werden. Aber: Beim Zugang zu Generika, die Novartis selber herstelle, könne mehr gemacht werden, als in der Vergangenheit. «Und das hier ist ein Beispiel», so der VR-Präsident.
Mit Medikamenten allein ist es nicht getan
Das Angebot aus Basel nimmt die kenianische Regierung dankbar an. In den Morgennachrichten wurde das Schweizer Pharmaunternehmen lobend erwähnt. Auch der kenianische Arzt und Gesundheitsökonom Nelson Gitongo begrüsst die Initiative. Nur: Medikamente alleine genügten nicht, wenn das Gesundheitssystem von Inkompetenz und Korruption zerfressen sei.
«Wenn wir das Gesundheitssystem in Kenia mit einer Wasserleitung vergleichen, die von einem Damm in ein Dorf führt, um dort die Leute zu versorgen, müssen wir feststellen, dass unsere Leitung löchrig, rostig und zerbrochen ist. In ein solches System pumpt man Wasser, ohne dass es bei den Leuten ankommt.» Es sei sicher lobenswert, wenn Pharmafirmen ihre Medikamente günstiger lieferten. Aber es genüge nicht, solange es kein funktionierendes Gesundheitssystem gebe, so Gitongo.
Novartis bringt bloss die Medikamente
Dieser Tatsache sei man sich sehr wohl bewusst, sagt Novartis-Chef Reinhardt. Das Hauptproblem sieht er in der meist zu späten Diagnose. «Die Patienten kommen häufig viel zu spät zum Arzt. Dann ist die Krankheit bereits sehr weit fortgeschritten und manchmal auch gar nicht mehr heilbar.»
Die Diagnose und Aufklärung der Patienten sei deshalb ein sehr wichtiger Punkt. Doch man könne nicht alles zur gleichen Zeit machen: «Wir beginnen mit dem, was wir gut können, und das sind Medikamente. Doch das gesamte Gesundheitssystem muss natürlich noch mehr machen.»
Kenias Regierung gefordert
Nüchtern betrachtet ist Novartis kein Hilfswerk und muss deshalb auch nicht die Gesundheitsprobleme Afrikas lösen. Die Abgabe von günstigen Medikamenten kann jedoch ein Beitrag zur Lösung sein. Wie aber kann der Pharmamulti sicherstellen, dass die verbilligten Medikamente tatsächlich bei den Patienten ankommen und nicht auf den Schwarzmärkten in Tansania oder Uganda?
Tatsächlich könne seine Firma nicht garantieren, dass die Medikamente in Kenia in die richtigen Kanäle gelangten, sagt Reinhardt. «Da muss die Regierung mithelfen.» Und dies habe Kenias Regierung auch versprochen. «Wir gehen mal davon aus, dass die Medikamente tatsächlich diejenigen erreichen, die sie erreichen sollen.»
Wird das Ziel tatsächlich erreicht?
Trotzdem ist man sich offenbar der Risiken und Nebenwirkungen bewusst. Zum «Novartis Access»-Programm gibt es eine Art Beipack-Zettel. Kleingedruckt am Ende der Projektbeschreibung hält Novartis fest: «Diese Beschreibung enthält oder impliziert zukunftsgerichtete Aussagen, die daran erkennbar sind, dass sie Formulierungen wie ‹mit dem Ziel›, ‹will›, ‹geht davon aus›, ‹möglichen› oder ähnliche Ausdrücke beinhalten. Die Aussagen unterliegen bekannten und unbekannten Risiken, Ungewissheiten und anderen Faktoren, die dazu führen können, dass die tatsächlichen Ergebnisse wesentlich von zukünftigen Ergebnissen abweichen können.»