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International «Nun müssten die Parteien erst recht zu ihren Werten stehen»

Die sozialdemokratischen Parteien bekommen angesichts der Migrationskrise kalte Füsse – und lassen ihre traditionellen Werte links liegen, sagt der Soziologe Franz Schultheis. Um keine Wählerstimmen zu verlieren, orientieren sich immer mehr Parteien am Stimmungsbarometer der Bevölkerung.

Der Rücktritt von Österreichs SPÖ-Chef und Bundeskanzler Werner Faymann zeige exemplarisch die Krise der Sozialdemokratie. Viele Politanalysten meinen, die Flüchtlingssituation habe Faymann den Kopf gekostet. Seine harte Haltung habe sich nicht ausbezahlt und das sei ein Lehrstück für die Sozialdemokraten in der EU.

Franz Schultheis

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Legende: zvg

Der aus Deutschland stammende Soziologe lehrt als Professor an der Universität St. Gallen.

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Franz Schultheis: Ja. Das Geschehen in Österreich ist ein Symbol für eine Krise der Sozialdemokratie. Sie zeigt sich in verschiedenen Ländern auf verschiedene Weise. Faymann musste für seine opportunistische Politik bezahlen. Der Rücktritt war folgerichtig, nachdem er von den Sozialdemokraten ausgerechnet am 1. Mai ausgebuht worden war.

Heisst das, dieser Rücktritt ist eine Botschaft an andere europäische Sozialdemokraten, die in Versuchung geraten könnten, die Grundprinzipien der EU zu opfern – aus Angst, Terrain an rechte Populisten zu verlieren?

Ja, ich denke schon. Kalte Füsse haben auch andere sozialdemokratische Parteien in Europa. Es gab sehr wenig Solidarität in Sachen Migrationspolitik. In Österreich war das Besondere, dass sich Faymann in kürzester Zeit von der Willkommenskultur verabschiedet und ins Gegenteil gewechselt hat.

In Österreich hiess es zuerst «Refugees welcome» dann gab es einen harten Kurswechsel. In Deutschland hat sich Ähnliches ereignet. Ist dieser Wechsel symptomatisch für die Sozialdemokraten in der ganzen EU?

Ich denke, dass Österreich ein Extremfall ist. In den anderen Ländern gibt es aber ähnliche Tendenzen. Die sozialdemokratischen Parteien, wie auch andere Volksparteien, haben Angst davor, ihre Wähler an rechtspopulistische Parteien zu verlieren, die Stimmung gegen die Migrationspolitik machen.

In der Flüchtlingsfrage schlingern also nicht nur die Sozialdemokraten, sondern auch andere Parteien. Trotzdem die Frage: Stecken besonders die Sozialdemokraten in einer Krise?

Ja. Ihre traditionellen Werte sind Menschenrechte, Freiheit und Brüderlichkeit. Nun, da es hart auf hart kommt und ein kalter Wind bläst, wie aktuell mit dem Migrationsproblem, müsste diese Partei noch fester zu ihren Prinzipien stehen als andere. Hier wird der Schlingerkurs zur Quelle eines Vertrauensverlustes. Die Partei vertritt nicht mehr die Werte, für die sie früher eingestanden ist.

Wäre die Lösung, dass Sozialdemokraten wieder richtige Sozialdemokraten sind?

Das ist ein Wunsch. Momentan gibt es keine solchen Tendenzen. Man fährt einen opportunistischen Kurs, denn es geht um Wählerstimmen. Das Denken ist kurzfristig. Man schaut auf das Politbarometer und sieht, dass es eine Gegenstimmung zu der aktuellen humanitären Migrationspolitik gibt und glaubt, sich diesen Stimmungslagen anpassen zu müssen. Dieser Opportunismus ist auf lange Sicht fatal.

Das Gespräch führte Andrea Christen.

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