Sie ist ein Gutmensch, das macht sie schon in den ersten Sätzen klar. «Stellen Sie sich doch einfach mal vor, was es heisst, vor Krieg zu fliehen und ein ganzes Leben zurückzulassen, Haus, Arbeit, Freunde, einfach alles. Wir sollten Mitleid haben mit diesen Leuten und ihnen helfen. Klar, kostet das etwas. Aber auch ein armes Land muss das bezahlen. Es ist der Preis, den man bezahlt, um ein Mensch zu sein.»
Iliana Savova ist 45 Jahre alt, setzt sich als Anwältin für das Helsinki-Komitee, eine NGO, für die Rechte von Flüchtlingen ein. Ihre schwarzen Haare umspielen ihren jetzt ernsten Blick. Der Hang zur Ironie und zu Witzen aus dem Vorgespräch ist weg, wenn es um die Sache geht.
Willkommenskultur von 2013 vorbei
Sie erzählt von 2013, als Bulgarien, das ärmste EU-Land, bewies, dass es Flüchtlinge menschlich empfangen kann: «Damals kamen in zwei Monaten 12'000 Leute zu uns. Syrische Kurden, die der türkische Premier Erdogan in Bussen an die bulgarisch-türkische Grenze bringen liess.»
Bulgarien sei darauf nicht vorbereitet gewesen. Es sei schwierig und chaotisch gewesen anfangs, doch man habe die Leute anständig empfangen können, nicht zuletzt dank der vielen Spenden aus der Bevölkerung, so Savova.
Wie viele Flüchtlinge dieses Jahr über Bulgarien in die EU kommen werden, ist unklar. Bisher war das Land als Tor zur EU weniger attraktiv als Griechenland, weil Bulgarien die Flüchtlinge stets registrierte. Das hielt viele ab, denn theoretisch könnten in Bulgarien registrierte Flüchtlinge, die sich nach Westeuropa durchschlagen konnten, zurückgeschafft werden nach Bulgarien.
Angst vor 100'000 Flüchtlingen
Inzwischen registriert aber auch Griechenland die Flüchtlinge. Und Bulgarien scheint attraktiver: Es ist auf dem Landweg erreichbar und seine Grenzen zu Serbien und Rumänien sind noch leicht passierbar. Es ist also denkbar, dass dieses Jahr Hunderttausende Flüchtlinge den Weg über Bulgarien wählen.
Ist es da nicht verständlich, dass Land und Leute, Medien und Regierung gegenüber Flüchtlingen einen anderen Ton anschlagen? Das sei nicht akzeptabel, sagt Savova. Gegen Terroristen oder Wirtschaftsmigranten könne man scharf vorgehen, aber nicht gegen Flüchtlinge.
Und wenn sie aus der Türkei kommen, einem sicheren Drittland? Savova stellt eine Gegenfrage: «Und was ist mit den Kurden, die vor dem IS fliehen? Die Türkei behandelt nicht alle gleich. Turkmenen werden gut behandelt, Araber so-so-la-la, und Kurden erhalten keinen Schutz, werden sogar zurückgeschickt.»
Keine Obergrenze für Menschlichkeit
Savova fordert, dass die EU weiterhin das Gesuch jedes Flüchtlings einzeln prüft. Und wenn dann 100'000 oder eine Million Menschen Anspruch auf Asyl hätten, dann sei das halt so. «Wo liegt die Obergrenze der Menschlichkeit? Bei welcher Zahl hören wir auf, menschlich zu sein?»
Da ist sie wieder, die Prinzipientreue des Gutmenschen. Doch dahinter steht nicht Realitätsferne oder moralischer Überdruck. Sondern Berufsethos und Geschichte: «Ich bin Anwältin. Und wenn wir uns über unsere eigenen Gesetze hinwegsetzen, dann ist der Rechtsstaat am Ende.» Europa ist in ihren Augen drauf und dran, seine eigenen Gesetze zu verraten.
Das weckt Erinnerungen in ihr: «Ich war 19 Jahre alt, als hier die Wende kam, das Ende der kommunistischen Zwangsherrschaft. Ich erinnere mich also an das Leben in einem Unrechtsstaat.» Diese Erinnerung teilt sie mit vielen Bulgarinnen und Bulgaren. Dennoch werden sie und ihre Kolleginnen vom Helsinki Committee inzwischen öffentlich für ihren Einsatz für Flüchtlinge angegriffen.
Korruption in der bulgarischen Justiz
«Wir bekommen Hassmails und Hassanrufe. Hooligans demonstrieren vor unseren Büros. Wirklich schlimm ist aber, dass auch die Politiker und Behörden uns verunglimpfen», berichtet die Anwältin. Ein Staatsanwalt griff das Helsinki Committee an. Die Steuerbehörden suchten in seinen Büchern nach Fehlern.
Savova war vor 20 Jahren die erste Anwältin, die einen Asylfall vor ein bulgarisches Gericht brachte. Seither setzt sie sich für die Rechte von Flüchtlingen ein. Sie denke oft ans Aufhören, sagt sie. Aber für eine Anwältin sei die korrupte bulgarische Justiz kein einladendes Feld. Darum habe sie entschieden, sich für eine gute Sache einzusetzen. Und sie will weitermachen. «Weil es ansteckend ist, Menschen zu helfen. Und weil es gut tut, ein guter Mensch sein.»