Überraschung im Asbest-Prozess gegen Stephan Schmidheiny: Das Oberste Gericht Italiens hat in Rom das Urteil der Vorinstanz annulliert und den Schweizer Unternehmer von den Vorwürfen freigesprochen.
Staatsanwaltschaft sprach von Verjährung
Zuvor hatte neben der Verteidigung auch der Vertreter der Anklage auf Freispruch wegen Verjährung plädiert. Seinen Antrag auf Annullation des zweitinstanzlichen Urteils begründete Generalstaatsanwalt Francesco Iacoviello damit, dass das Delikt 1986 geendet habe. Damals wurde das letzte italienische Eternit-Werk geschlossen.
Damit hätten die Emissionen von Asbest-Fasern in die Umwelt aufgehört. Die Verjährungsfrist beträgt in diesem Fall 20 Jahre. Damit wäre das Delikt 2006 verjährt.
Neuer Prozess gegen Schmidheiny unwahrscheinlich
«Die italienische Justiz hat zu spät gehandelt», sagt SRF-Korrespondent Philipp Zahn in Rom. «Die ersten Verfahren sind erst nach der Jahrtausendwende ins Rollen gekommen – offenbar viel zu spät für die italienische Rechtssprechung.»
«Wenn ein italienischer Staatsanwalt nochmals gegen den Unternehmer vorgehen will, muss er sich das genau überlegen, denn die Verjährungsfristen laufen weiterhin», so Zahn. «Im italienischen Recht gibt es fast keine Möglichkeiten mehr, gegen Schmidheiny vorzugehen.»
Schmidheiny drohten 18 Jahre Haft und Millionenkosten
Die Richter des Kassationshofes in Rom folgten diesem Antrag und hoben das im Juni 2013 vom Appellationshof in Turin gegen Schmidheiny verhängte Urteil auf.
Der Appellationshof hatte den Schweizer Unternehmer noch zu 18 Jahren Gefängnis und Entschädigungszahlungen in Höhe von 90 Millionen Euro verurteilt. Das Berufungsgericht hatte ihn der vorsätzlichen Verursachung einer bis heute andauernden Umweltkatastrophe für schuldig befunden.
Erleichterung bei Schmidheiny
Schmidheiny-Sprecherin Elisabeth Meyerhans zeigte sich in einer ersten Reaktion überrascht vom Freispruch durch den Kassationshof. «Wir hatten angesichts der Kampagne gegen Stephan Schmidheiny in Italien eine Rückweisung oder eine Bestätigung nicht ausschliessen können.»
Meyerhans zeigte sich befriedigt, dass das Oberste Gericht die Verletzung der Verteidigungsrechte Schmidheinys nicht akzeptiert und das Urteil annulliert habe.
Asbest-Opfer fassungslos
Bei Angehörigen von Asbest-Opfern löste der Freispruch heftige Reaktionen aus. Bereits den Antrag des Generalstaatsanwalts hatten sie scharf kritisiert. Vor Beginn der Anhörung hatten rund 150 Angehörige vor dem Gerichtsgebäude «Gerechtigkeit für die Eternit-Opfer» verlangt.
«Die Leute waren natürlich verzweifelt und sehr verärgert», bestätigt SRF-Korrespondent Philipp Zahn. Viele Angehörige hätten ihre persönliche Tragödie an diesen Prozess und auch an die Person Schmidheiny geknüpft. «Das Urteil von heute Abend sich sicher für die meisten von ihnen überhaupt nicht zu verkraften.»
Mit diesem Urteil würden die Asbest-Opfer ein zweites Mal sterben, erklärten die beiden PD-Senator Roberto Delle Seta und Franceso Ferrante bereits vor der Urteilsverkündung.
Im Verfahren gegen Schmidheiny ging es um nahezu 3000 durch Asbest erkrankte oder an asbestbedingten Krankheiten verstorbene Menschen im Zusammenhang mit den vier Eternit-Werken in Italien.
Die von Stephan Schmidheiny ab 1976 geführte Schweizerische Eternit-Gruppe SEG war von 1973 bis zum Konkurs 1986 zunächst grösster und später Hauptaktionär der Eternit (Italia) SpA.
Die Untersuchungen gegen Schmidheiny begannen 2001. Der erste Prozess startete Ende 2009 und endete 2012 mir einer Verurteilung Schmidheinys und seines inzwischen verstorbenen Mitangeklagten, Louis de Cartier de Marchienne.