Österreich plant, möglichst unattraktiv für Flüchtlinge und Migranten zu werden. Dazu will die Regierung die Asylgesetze weiter verschärfen. So soll sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen künftig auch Gefängnis drohen, wenn sie sich wiederholt der Ausreise entziehen. Mit einer sogenannten Not- oder Sonderverordnung sollen Asylbewerber ausserdem direkt an der Grenze abgewiesen werden können. Darauf hat sich die grosse Koalition in Wien geeinigt, bald debattiert das Parlament über die Vorschläge.
«Es ist völlig unklar, ob die Regelung bei einer Klage vor europäischen Gerichten Bestand haben würde», sagt Alexandra Föderl-Schmid zu den Plänen einer Notverordnung. Sie ist Chefredaktorin der österreichischen Zeitung «Der Standard». Deshalb hoffe die Regierung auch, die Notverordnung gar nie in Kraft setzen zu müssen.
SRF News: Was sind die Hauptpunkte der Notverordnung und wann soll sie in Kraft treten?
Alexandra Föderl-Schmid: Die Notverordnung soll dann angewendet werden, wenn die von der Regierung letztes Jahr festgelegte Obergrenze von 37'500 Asylanträgen für dieses Jahr erreicht ist. Über die Verordnung ist in der grossen Regierungskoalition lange gestritten worden: Die konservative ÖVP wollte damit ein Signal der Abschreckung aussenden, die Sozialdemokraten zögerten dagegen lange, bei dem Projekt mitzumachen. Nun streiten sich die Parteien, ob die Verordnung bereits gelten soll, bevor die Zahl von 37'500 Asylanträgen erreicht ist. Dabei hoffen beide Seiten, dass die Zahl gar nicht erreicht wird und die Verordnung nicht in Kraft treten muss. Eine kleine Chance für diese Möglichkeit besteht – bis Ende August sind 27'000 Asylanträge gestellt worden. Das Problem für die Regierung: Wenn man die Notverordnung in Kraft setzt, muss man auch den Grenzschutz ausbauen, etwa durch 2000 Soldaten an der Grenze. Das ist mit Kosten verbunden.
Es wird befürchtet, die Notverordnung könnte vor europäischen Gerichten nicht Bestand haben.
Das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR kritisiert die Verordnung als «Tabubruch», die Genfer Flüchtlingskonvention werde damit ausgehebelt. Hat die österreichische Regierung dafür eine Rechtfertigung?
Neben der ÖVP und der SPÖ steht auch die rechtspopulistische Freiheitliche Partei hinter dem Anliegen. Damit sind auf politischer Ebene nur noch die Grünen übrig, welche die Verordnung kritisieren. Juristen befürchten allerdings, dass die Regelung europarechtlich nicht bestehen und ein Betroffener mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte durchkommen könnte. Man sucht jetzt zwar nach Begründungen, ob die aber ausreichen, bleibt offen. Unklar bleibt ebenso, in wieweit diese Unsicherheit die parlamentarischen Beratungen in den nächsten vier Wochen beeinflussen wird. Ich denke aber, am Projekt einer Notverordnung wird festgehalten werden.
Slowenien hat in einer Reaktion angekündigt, die Grenzen schärfer zu kontrollieren, Österreich droht Ungarn mit einer Klage, wenn es die Dublin-Flüchtlinge nicht zurücknimmt. Was heisst das für die Beziehungen Österreichs zu seinen Nachbarn?
Österreich versucht seit Wochen, Ungarn dazu zu bringen, dass es EU-Recht umsetzt und sogenannte Dublin-Fälle, also Asylbewerber, die aus einem sicheren EU-Land nach Österreich kommen, zurückzunehmen. Bislang brachten die Appelle nichts, nun steht also die Drohung einer Klage im Raum. Wie ernst die zu nehmen ist, ist unklar. Sicher ist, Österreich erhöht den Druck auf Ungarn, denn von dort kommen die meisten Flüchtlinge ins Land. Mit Sorge wird auch die Lage in Italien beobachtet, wo zehntausende Menschen aus Nordafrika ankommen und nach Norden weiterreisen wollen. Österreich versucht also mit Gesprächen die Nachbarstaaten zu überzeugen, dass diese ihren Anteil an Flüchtlingen behalten und nicht nach Österreich durchwinken.
Falls das Parlament der Asyl-Notverordnung nun zustimmt: Wie wahrscheinlich ist es, dass sie bald zur Anwendung kommt?
Wenn man die bisherigen Asylzahlen hochrechnet, werden im November die 37'500 Gesuche erreicht, dann würde die Notverordnung tatsächlich in Kraft gesetzt. Sie würde für vorerst sechs Monate gelten und könnte drei Mal verlängert werden. Grundsätzlich stellen sich also bloss die Fragen, wann der Notstand erreicht ist, und ob man vor europäischen Gerichten dereinst wird nachweisen können, dass die öffentliche Ordnung und Sicherheit tatsächlich gefährdet ist.
Das Gespräch führte Philippe Chappuis.