SRF News: Eine Zeit lang versuchten weniger Flüchtlinge über den Brenner nach Österreich zu gelangen. Hat sich das nun wieder geändert?
Anton Rainer: Ja, noch im Mai waren es 10 bis 15 Personen pro Tag. Unterdessen sind es 35 bis 40 Personen, die täglich aufgegriffen werden. Das hat zu neuen Spannungen geführt, vor allem mit Blick auf das möglicherweise bevorstehende Grenz-Management, für das die baulichen Massnahmen teilweise bereits getroffen wurden.
Der 370 Meter lange Zaun kann von einem Tag auf den anderen errichtet werden.
Die Grenzkontrollen am Brenner wurden im April angekündigt, aber nicht eingeführt. Woran liegt das?
Ein Teil der Kontrollen wurde sehr wohl eingeführt, insbesondere an den Bahnhöfen: Es stehen mittlerweile ein Dutzend Beamte von österreichischer und italienischer Seite am Bahnhof Brenner selbst und an den anderen Bahnhöfen an der Brenner-Linie, zum Beispiel in Verona. Dort kommt es zu deutlich mehr Kontrollen als noch vor ein paar Monaten. Massnahmen wurden auch an der Autobahn getroffen. So wurde bereits ein Unterstand für die Polizisten gebaut, die dort künftig stehen und Lastwagen sowie Autos kontrollieren könnten. Die wichtigste Massnahme aber ist die Errichtung eines 370 Meter langen Zauns. Darüber wurde am meisten gestritten. Aufgestellt wurde der Zaun noch nicht, allerdings sind die Löcher im Boden dafür bereits da. Er könnte also von einem Tag auf den anderen errichtet werden.
In den nächsten Monaten könnten wieder mehr Flüchtlinge kommen. Befürchtet man in Südtirol eine erneute Verschlechterung der Beziehung zu Österreich?
Im Frühjahr waren die Flüchtlinge ein wesentlicher Streitpunkt zwischen Bozen und Wien. Rhetorisches Aufrüsten führte zu angespannten Beziehungen. Die Situation hat sich seither verbessert und die Befürchtungen in Südtirol sind etwas kleiner als noch vor ein paar Monaten – vor allem auch, weil die Flüchtlinge an den Bahnhöfen nicht mehr so sichtbar sind. Denn diese versuchen nun direkt über die Strassen nach Österreich zu gelangen. Sie werden vermehrt an der Autobahn oder an der Staatsstrasse aufgegriffen.
Es könnte zu einer Ausnahmesituation kommen, zeigt sich Europa nicht bald solidarisch.
Zwar ist der Notfallplan der Österreicher noch nicht in Kraft, doch könnte der Zaun innert kürzester Zeit Südtirol von Österreich trennen. Rechnet man in Südtirol damit, dass die Grenzschliessung dieses Jahr noch kommt?
Der Zaun könnte sofort aufgestellt werden und – das ist am Brenner das grösste Problem – würde praktisch direkt durch das Dorf führen, das an der Grenze liegt. Das wäre eine grosse Belastung für die Beziehungen der beiden Länder. Man rechnet nicht unbedingt mit der Errichtung, doch wurde in den letzten Tagen von politischer Seite immer wieder gesagt, dass Italien am Ende seiner Kapazitäten stehe und dass es zu einer Ausnahmesituation kommen werde, sollte sich Europa nicht bald in irgendeiner Form solidarisch zeigen. Es wäre nicht mehr auszuschliessen, dass der Zaun errichtet würde.
Abgesehen von der Trennung dieses Dorfes: Was würde das für Südtirol bedeuten?
Für Südtirol ist der Brenner vor allem eine starke symbolische Grenze. Würde ein Zaun gezogen, wäre das nicht nur eine simple Asylmassnahme, sondern auch das Ende einer Jahrzehnten langen Entspannung der Beziehung der beiden Länder. Vermutlich käme es zu einer weiteren Entfremdung des Südtirols von Wien.
Das Gespräch führte Tina Herren.