Mit der faktischen Annektierung der Krim durch Russland, wächst auch in den östlichen EU-Ländern die Angst vor dem mächtigen und unberechenbaren Nachbarn. Dass Moskau vorgibt, die eigene Bevölkerung zu schützen und deshalb Truppen entsendet, wirkt sehr beunruhigend auf Staaten mit einer grossen russischen Minderheit wie etwa Lettland oder Estland.
Auch Tschechien und Polen sind misstrauisch. Beide Länder haben in ihrer Geschichte ungute Erfahrungen gemacht mit Russland und halten eine Kriegsgefahr für real. Dem Westen werfen sie einen zu sanften Umgang mit Russland vor.
Tusk: «Es geht um Sein oder Nicht-Sein»
Eine Stunde nahm sich der polnische Premierminister Donald Tusk Zeit, um der Nation im Fernsehen zu erklären, die Lage sei ernst. Ohne Stabilität in der Ukraine, keine Sicherheit in Polen, sagte er. Hier gehe es um einen Konflikt vor der eigenen Haustür.
Die Krise im Nachbarland müsse in den Herzen der Polen etwas auslösen, so der Regierungschef pathetisch - es gehe um Sein oder Nicht-Sein. Erstmals seit vielen Jahren drohe eine wirkliche Gefahr für Stabilität und Frieden, sagte Tusk weiter. Der Konflikt könne sich zum Flächenbrand ausweiten.
Geprägt von schlechten Erfahrungen
Die Angst vor dem Krieg, die Angst vor den Russen ist für die Osteuropäer und speziell für die Polen real. Sie nährt sich aus den Erfahrungen der Vergangenheit, sagt der Warschauer Politologe Wojciech Przybylski. Russland stellte in der Geschichte Polens stets eine Bedrohung dar: in der Zarenzeit, im 2. Weltkrieg und danach während der kommunistischen Diktatur. Politik und Öffentlichkeit verlangten deshalb nach einem klaren Signal an Russland, dass Völkerrechtsbruch nicht toleriert werde, so der Politologe.
Polen ist enttäuscht, dass der Westen lamentiert und aus Rücksicht auf wirtschaftliche Interessen die Russen nicht vor den Kopf stossen will. Parallelen zu 1939 werden gezogen: Auch bei Hitlers Überfall hätten westliche Politiker beschwichtigt, in der Hoffnung die Situation stabilisiere sich. Zuviel Rücksichtnahme und Konzessionsbereitschaft berge die Gefahr, dass plötzlich viel mehr auf dem Spiel stehe als nur die ökonomischen Interessen, meint Przybylski.
Amerikaner machen Nägel mit Köpfen
Der Krieg klopft an die Tür, sagt der Chefredaktor der renommierten Vierteljahreszeitschrift «Res publica nova». Aber Europa will keinen Krieg und bringt weder die militärischen Fähigkeiten, noch den politischen Willen auf, für seine Sicherheit und seine Werte einzustehen. Es hat die Fähigkeit zu agieren verloren, so Przybylski. Die meisten Polen sind überzeugt: Denn Russen kann man nur mit Machtpolitik begegnen.
Es sind die Amerikaner, die Nägel mit Köpfen machen. Sie haben vergangene Woche erste Sanktionen gegen Russland verhängt und werden nun ein Dutzend F-16 Kampfflugzeuge und mehrere Hundert zusätzliche Soldaten nach Polen schicken. Ein wichtiges Zeichen für das grösste östliche Nato-Land.
«Dank den Amerikanern und der Nato brauchen wir uns nicht zu fürchten», beruhigte Regierungschef Tusk das Publikum bei seinem Fernsehauftritt. Nun zeige sich, wie wichtig nicht nur die ökonomische Integration in die EU, sondern eben auch die militärische Integration ins atlantische Bündnis sei, denn der Frieden sei nicht auf ewig garantiert.
Rüstet Polen bald Streitkräfte auf?
Polen zählt auf den Schutz der Amerikaner. Aber angesichts der zunehmenden Bedrohung werden in Warschau Stimmen laut, die eine Aufrüstung der eigenen Streitkräfte fordern. 45 Milliarden Dollar sollen innerhalb der nächsten zehn Jahre in Armee, Marine und Luftwaffe investiert werden. Das Parlament wird in Kürze darüber befinden.
Wie aber kann Putin kurzfristig in die Schranken gewiesen werden? Polen hält nichts von der sanften diplomatischen Tour, sondern will endlich Sanktionen: Einreiseverbote, Einfrieren von russischen Konten und Boykott des G-8-Gipfels in Sotschi ist für die Warschauer Regierung das mindeste. Lieber hätte sie wirklich harte Wirtschaftssanktionen.
Sanktionen als Zeichen der Solidarität
Politologe Przybylski bezweifelt aber, ob Strafmassnahmen die russische Führung davon überzeugen können, von der Ukraine abzulassen. Sanktionen seien symbolische Gesten und selten zielführend.
Immerhin könnten Sanktionen Solidarität ausdrücken. Solidarität mit der Ukraine und auch mit den östlichen EU-Ländern. Denn diese warten ungeduldig auf ein Zeichen aus dem Westen, dass ihre Ängste ernst genommen werden.