Die Labour-Partei hat ihre sechs wichtigsten Wahlversprechen eigens in Stein meisseln lassen. Buchstäblich. Der über zwei Meter fünfzig hohe Grabstein soll unter einem künftigen Premierminister Miliband im Garten von Downing Street Nummer 10 aufgestellt werden – als Ermahnung, gewissermassen.
Ed Miliband ist seither zurecht verspottet worden; die Karikaturisten konnten der Versuchung nicht widerstehen, ihn als Moses mit den sechs Geboten zu zeichnen. Die Glaubwürdigkeit der Labour-Partei hat nicht merklich zugenommen. Der scheidende Premierminister Cameron wiederum vergass unlängst, welchen Fussballclub er unterstützt und nannte einen falschen. Das bestätigte die Wahrnehmung, dass er an gar nichts glaube.
Nur Minderheit für EU-Austritt
Es mag frivol erscheinen, diesen viel zu langen Wahlkampf mit derartigen Trivialitäten zu erfassen. Und doch kreisen beide Episoden um Vertrauen und Glaubwürdigkeit, um die schwindenden Bindungen an Politiker und Traditionsparteien. Dieses Phänomen ist nicht auf die britischen Inseln beschränkt, aber unter dem geltenden Mehrheitswahlrecht führt die Zersplitterung der Parteienlandschaft zu bizarren, unvorhersehbaren und letztlich ungewollten Resultaten.
Dabei geht es diesmal um grundsätzliche, ja sogar existentielle Fragen. Es darf unterstellt werden, dass eine klare Mehrheit der britischen Untertanen keine Auflösung des Staatsverbandes wünscht und dass der Austritt aus der Europäischen Union nur von einer Minderheit unterstützt wird. Dennoch könnte diese Wahl exakt zu derartigen Ergebnissen beitragen, sei es wegen des Vetorechts der schottischen Nationalistenpartei, sei es aufgrund einer Kettenreaktion, die England zum Alleingang am Rande des Kontinents verführt.
Traum von klaren Verhältnissen
Von aussen betrachtet ist der bevorstehende Koalitionspoker nicht weiter bemerkenswert. Die Engländer aber träumen weiter von linearen, klaren Verhältnissen, von eindeutigen Siegern, die es nicht mehr gibt. Sie sträuben sich gegen das Mitspracherecht einer regionalen Partei aus Schottland, sie debattieren ernsthaft, ob die zweitgrösste Fraktion überhaupt über die Legitimität verfüge, eine Regierung zu bilden. Darüber mag man lächeln, aber die Bedenken sind echt.
Nach einem enttäuschenden und inhaltsarmen Wahlkampf wählen die Britinnen und Briten morgen den akzeptabelsten Verlierer aus. Sie sind nicht zu beneiden. Immerhin können sie sie sich mit dem Gedanken trösten, dass der Freitag deshalb umso spannender wird, wenn echte Resultate an die Stelle bewegungsloser Umfrageergebnisse treten.