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International Politischer Schein und Wirklichkeit in Bosnien

Der Vielvölkerstaat Bosnien-Herzegowina will EU-Mitglied werden und signalisiert Einheit. Doch die Fassade eines Gesamtstaates ist hauchdünn. Der Alltag zeigt, dass die ethnischen Mauern in den Köpfen der Menschen noch immer nicht ganz eingerissen sind – und von Politikern bewusst gebaut werden.

Drei offizielle Ethnien, zwei Landesteile, drei Präsidenten – aber dennoch ein Land. Das ist Bosnien-Herzegowina. Und das ist das Dayton-Abkommen. Die internationale Übereinkunft verankerte nach dem Bürgerkrieg die ethnische Trennung in der Verfassung des Landes – und auch in den Köpfen der Menschen.

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Bosnien-Herzegowina will in die EU, ist aber zerrissen wie eh und je
aus HeuteMorgen vom 15.02.2016.
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In Bosnien leben «Bosnier» – so einfach ist es nicht

So klar, wie wir in der Schweiz einfach alle «Schweizer» sind, ist die Lage in Bosnien nicht. Hier spricht man von Bosniaken (bosnische Muslime), bosnischen Serben und bosnischen Kroaten. Und auch das Gesetz sieht es so vor: Eltern müssen ihre Neugeborenen als Bosniaken, Kroaten oder Serben registrieren lassen. Dazu kommt noch die Kategorie «Andere», die vor allem für Roma und die kleine jüdische Minderheit vorgesehen ist.

Eine einheitliche Nationalität als Bosnier gibt es nicht. Die Unterscheidung der verschiedenen Ethnien ist vielen Menschen in Bosnien sehr wichtig. Und sie wissen genau, wer zu welcher Ethnie gehört.

Schulen zum Teil nach Ethnien getrennt

Die Gräben in der Gesellschaft sind auch gut 20 Jahre nach dem Bürgerkrieg noch spürbar, vor allem in ländlicheren Regionen. So gibt es etwa in bestimmten Teilen des Landes noch nach Ethnien getrennte Schulen, wie der ehemalige SRF-Korrespondent Walter Müller erklärt. Dort unterrichte man mit unterschiedlichen Geschichtsbüchern. «Teilweise gehen die einen Schüler am Morgen zur Schule, die anderen am Nachmittag. Eine Durchmischung auf dem Pausenhof wird somit vermieden», so Müller.

Die Ortschaft Mostar
Legende: Der Fluss Neretva fliesst mitten durch die malerische Stadt Mostar – und trennt die Bewohner nach Ethnien. Keystone

In der Ortschaft Mostar sei die Trennung noch extremer. Hier ziehe der Fluss eine imaginäre Grenze zwischen den Muslimen und den Kroaten. «Auf der einen Seite des Flusses wohnt die muslimische, auf der anderen die kroatische Bevölkerung.» Doch Müller betont: In den Städten sei dies anders, hier seien die Schulen durchmischt.

Gemischte Ehen nicht überall akzeptiert

Es gibt also auch eine andere Gesinnung im Land. Ein grosser Teil der städtischen Bevölkerung sei gegen eine ethnische Trennung, erläutert Müller. Die jungen Leute würden sich zunehmend mehr durchmischen. Im Vordergrund stünden nicht die Ethnien, sondern die Existenz – bei einer Jugendarbeitslosigkeit von rund 60 Prozent auch kein Wunder. «Werden gemischte Ehen geschlossen, so wird das von Anhängern eines bosnischen Gesamtstaates gefeiert – sie sehen die gemischten Ehen als Fortschritt», so Müller.

Doch noch seien gemischte Ehen bei weitem keine Selbstverständlichkeit. «Es gibt noch immer viel Widerstand in den Familien, vor allem in ländlichen Regionen.» Es gebe Fälle, in denen die Verliebten Suizid begingen, weil sie von der Familie geächtet wurden.

Walter Müller

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Walter Müller war von 1995 bis 2001 Produzent beim «Echo der Zeit». Danach bis zu seiner Pensionierung 2015 Südosteuropa-Korrespondent auf dem Balkan. Seither berichtet Müller für Radio SRF als freier Mitarbeiter aus der serbischen Hauptstadt Belgrad.

Ethnien werden politisch instrumentalisiert

Obschon wohl der Grossteil der Städter gegen eine ethnische Trennung ist, sind sie keine politische Mehrheit. Im Gegenteil. Die verschiedenen Ethnien im Land werden zum Instrument der Politiker. «Wenn es etwa um Wahlen geht, schüren sie wieder Angst vor der anderen Ethnie, um sich Stimmen zu sichern», so Müller. Statt sich unfähiger Politiker zu entledigen, stimmen Muslime, Serben und Kroaten stets für ihre Parteien.

Die richtige Parteizugehörigkeit ist auch abseits der Wahlen relevant, zum Beispiel bei der Stellensuche. «Wer einen Job will, muss bei der richtigen Partei sein. Beim Staat werden Parteigänger angestellt», erklärt Müller.

Doch wenn Bosnien in die EU will, müssen einschränkende ethnische Bestimmungen – etwa im Wirtschafts- oder Justizbereich – der Vergangenheit angehören. Statt am internationalen Geldtropf zu hängen, muss das Land Eigenverantwortung übernehmen. Das ist das grosse Ziel der EU. Im August 2015 verpflichteten sich Bosniens Regierungspolitiker gegenüber der EU, gemeinsam definierte Reformen zügig umzusetzen. Jetzt, ein halbes Jahr später, scheint Bosnien schon bereit. Das zumindest signalisiert das nun offiziell eingereichte Gesuch um einen EU-Beitritt.

Das Abkommen von Dayton

Kompliziertes politisches System
Das Dayton-Abkommen kam 1995 auf Druck von Washington und Brüssel zustande und beendete den Krieg in Bosnien. Darin wurden zwei Landesteile geschaffen – für die Serben auf der einen, und für die Muslime und Kroaten auf der anderen Seite.

Das Abkommen schreibt unter anderem eine Verfassungs- und Verwaltungsstruktur fest, die den Anforderungen aller Volksgruppen im Land Rechnung tragen sollte. Berücksichtigt wurden dabei drei Gruppen: die Bosniaken (bosnische Muslime), die Serben und die Kroaten. Unberücksichtigt blieben Minderheiten wie Juden, Roma und andere.

Dem gesamten Land steht eine Zentralregierung vor, die präsidiert wird von drei Personen: einem bosniakischen, einem kroatischen und einem serbischen Vertreter. Der Vorsitz wechselt alle 8 Monate.

Der Gesamtstaat ist jedoch machtlos. Das Dayton-Abkommen gibt den politischen Parteien und ihren Führern jede Möglichkeit, den Gesamtstaat zu blockieren und eigene Interessen durchzusetzen. Oder wie Bakir Izetbegovic, das muslimische Mitglied im Staatspräsidium, dereinst sagte: «Dayton wird behandelt wie ein Buffet mit Selbstbedienung: Jeder nimmt, was ihm gefällt und lässt liegen, was ihm nicht passt.»
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