Drei offizielle Ethnien, zwei Landesteile, drei Präsidenten – aber dennoch ein Land. Das ist Bosnien-Herzegowina. Und das ist das Dayton-Abkommen. Die internationale Übereinkunft verankerte nach dem Bürgerkrieg die ethnische Trennung in der Verfassung des Landes – und auch in den Köpfen der Menschen.
In Bosnien leben «Bosnier» – so einfach ist es nicht
So klar, wie wir in der Schweiz einfach alle «Schweizer» sind, ist die Lage in Bosnien nicht. Hier spricht man von Bosniaken (bosnische Muslime), bosnischen Serben und bosnischen Kroaten. Und auch das Gesetz sieht es so vor: Eltern müssen ihre Neugeborenen als Bosniaken, Kroaten oder Serben registrieren lassen. Dazu kommt noch die Kategorie «Andere», die vor allem für Roma und die kleine jüdische Minderheit vorgesehen ist.
Eine einheitliche Nationalität als Bosnier gibt es nicht. Die Unterscheidung der verschiedenen Ethnien ist vielen Menschen in Bosnien sehr wichtig. Und sie wissen genau, wer zu welcher Ethnie gehört.
Schulen zum Teil nach Ethnien getrennt
Die Gräben in der Gesellschaft sind auch gut 20 Jahre nach dem Bürgerkrieg noch spürbar, vor allem in ländlicheren Regionen. So gibt es etwa in bestimmten Teilen des Landes noch nach Ethnien getrennte Schulen, wie der ehemalige SRF-Korrespondent Walter Müller erklärt. Dort unterrichte man mit unterschiedlichen Geschichtsbüchern. «Teilweise gehen die einen Schüler am Morgen zur Schule, die anderen am Nachmittag. Eine Durchmischung auf dem Pausenhof wird somit vermieden», so Müller.
In der Ortschaft Mostar sei die Trennung noch extremer. Hier ziehe der Fluss eine imaginäre Grenze zwischen den Muslimen und den Kroaten. «Auf der einen Seite des Flusses wohnt die muslimische, auf der anderen die kroatische Bevölkerung.» Doch Müller betont: In den Städten sei dies anders, hier seien die Schulen durchmischt.
Gemischte Ehen nicht überall akzeptiert
Es gibt also auch eine andere Gesinnung im Land. Ein grosser Teil der städtischen Bevölkerung sei gegen eine ethnische Trennung, erläutert Müller. Die jungen Leute würden sich zunehmend mehr durchmischen. Im Vordergrund stünden nicht die Ethnien, sondern die Existenz – bei einer Jugendarbeitslosigkeit von rund 60 Prozent auch kein Wunder. «Werden gemischte Ehen geschlossen, so wird das von Anhängern eines bosnischen Gesamtstaates gefeiert – sie sehen die gemischten Ehen als Fortschritt», so Müller.
Doch noch seien gemischte Ehen bei weitem keine Selbstverständlichkeit. «Es gibt noch immer viel Widerstand in den Familien, vor allem in ländlichen Regionen.» Es gebe Fälle, in denen die Verliebten Suizid begingen, weil sie von der Familie geächtet wurden.
Ethnien werden politisch instrumentalisiert
Obschon wohl der Grossteil der Städter gegen eine ethnische Trennung ist, sind sie keine politische Mehrheit. Im Gegenteil. Die verschiedenen Ethnien im Land werden zum Instrument der Politiker. «Wenn es etwa um Wahlen geht, schüren sie wieder Angst vor der anderen Ethnie, um sich Stimmen zu sichern», so Müller. Statt sich unfähiger Politiker zu entledigen, stimmen Muslime, Serben und Kroaten stets für ihre Parteien.
Die richtige Parteizugehörigkeit ist auch abseits der Wahlen relevant, zum Beispiel bei der Stellensuche. «Wer einen Job will, muss bei der richtigen Partei sein. Beim Staat werden Parteigänger angestellt», erklärt Müller.
Doch wenn Bosnien in die EU will, müssen einschränkende ethnische Bestimmungen – etwa im Wirtschafts- oder Justizbereich – der Vergangenheit angehören. Statt am internationalen Geldtropf zu hängen, muss das Land Eigenverantwortung übernehmen. Das ist das grosse Ziel der EU. Im August 2015 verpflichteten sich Bosniens Regierungspolitiker gegenüber der EU, gemeinsam definierte Reformen zügig umzusetzen. Jetzt, ein halbes Jahr später, scheint Bosnien schon bereit. Das zumindest signalisiert das nun offiziell eingereichte Gesuch um einen EU-Beitritt.