Klares Resultat bei der Abstimmung im griechischen Parlament: 229 der 300 Parlamentarier haben den Sparkurs der griechischen Regierung unterstützt. Freuen kann sich Premierminister Alexis Tsipras über das Resultat aber kaum. Denn viele Nein-Stimmen kommen aus seiner linken Syriza-Partei.
SRF News: Weshalb unterstützen so viele Linke ihren Ministerpräsidenten nicht?
Gerd Höhler: Der Inhalt der Abstimmung widerspricht diametral all dem, wofür Syriza bisher stand, also das radikale Linksbündnis und auch Tsipras selbst. Tsipras hatte ja im Wahlkampf etwas völlig anderes versprochen: «Wir wollen die Mindestlöhne heraufsetzen, wir wollen die Renten erhöhen, wir wollen auf keinen Fall weiteren Sparmassnahmen zustimmen, und die Troika wird vertrieben».
All das ist nun vom Tisch: Auf die Griechen kommen Steuererhöhungen zu, und sie werden länger für ihre Pension arbeiten werden müssen. Deshalb haben so viele Syriza-Abgeordnete ihre Zustimmung verweigert.
Im Nein-Lager sind auch Mitglieder der Regierung von Tsipras. Braucht der Ministerpräsident jetzt eine neue Regierung?
Das wird sich zeigen. Jedenfalls hat er bei der Abstimmung am Mittwoch wie auch jener vom vergangenen Samstag, als es um sein Verhandlungsmandat ging, seine Regierungsmehrheit verloren. Bleibt es bei diesem Bruch, muss sich Tsipras dauerhaft auf Stimmen aus den Oppositionsparteien stützen. Das bedeutet praktisch, dass er eine Minderheitsregierung führt.
Sind denn Neuwahlen eine mögliche Alternative, und wenn ja, was könnte dabei herauskommen?
Das hängt davon ab, wann diese stattfinden. Tsipras hat offenbar in Brüssel in den Verhandlungen mit den Geldgebern versprechen müssen, dass er nicht unmittelbar Neuwahlen ansetzt. Denn könnten die beschlossenen Reformen und Massnahmen nicht umgesetzt werden.
Doch seine Partei erlitt einen tiefen Bruch. Er kann wohl allenfalls noch einige Monate überstehen, bevor er dann möglicherweise im Herbst Neuwahlen ausrufen muss. Welches Ergebnis diese haben, ist sehr schwer vorauszusagen. Es hängt davon ab, wie die Menschen auf dieses Sparprogramm reagieren, wie hart es sie wirklich trifft, und wie viele Stimmen Syriza erhält.
Tsipras hat nun ein Ja für das Sparprogramm, das aber nicht sein Programm ist. Wie will Tsipras die Reformen durchsetzen – wenn er das überhaupt will?
Das ist das Paradoxe an der Situation: Tsipras selbst hat diese Woche im Fernsehen nochmals gesagt, «ich habe dort in Brüssel ein Papier unterschrieben, das mir aufgezwungen wurde, ein Papier, an das ich gar nicht glaube». Das hat er auch in der Parlamentsdebatte nochmals gesagt und vor seiner Regierungsfraktion.
Ich glaube, es gibt heute noch keine Antwort darauf, wie er die Reformen nun umsetzen will. Aber das werden die Geldgeber genau beobachten, und davon hängt ab, ob die Hilfskredite fliessen.
Heisst das, die Mehrwertsteuer wird nicht sofort erhöht, und auch die Renten werden nicht gestrichen?
Die Renten werden ohnehin nicht gestrichen. Die neuen Regelungen werden über die nächsten Jahre schrittweise umgesetzt. Die Steuererhöhungen werden, sobald das entsprechende Gesetz veröffentlicht ist, in Kraft treten – also noch in den nächsten Wochen.
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Es gibt ja auch Widerstand gegen den Sparkurs auf der Strasse. Werden diese Proteste der Bevölkerung weitergehen?
Etwa 12‘000 Menschen haben friedlich protestiert. Dann gab es eine kleine Gruppe von Unruhestiftern aus der Anarchisten-Szene. Die Polizei hat diese Unruhen relativ schnell in den Griff bekommen. Das war also nicht zu vergleichen mit den schweren Unruhen im Sommer 2012 in Athen.
Es wird sich in den nächsten Tagen zeigen, ob das ein einmaliges Aufflammen dieser gewaltsamen Proteste war, oder ob in Griechenland wieder eine grössere Unruhe einkehrt. Aber ich hab bisher den Eindruck, dass die Menschen relativ schicksalsergeben dieses Sparprogramm hinnehmen. Darauf deuten auch Umfragen hin: 51,5 Prozent sind bereit, diese Massnahmen zu akzeptieren.
Das Gespräch führte Hans Ineichen.