Der deutsche Aussenminister Frank Walter Steinmeier eröffnet heute die Antisemitismus-Konferenz in Berlin. Organisiert wird die Veranstaltung von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OSZE unter dem Vorsitz von Bundespräsident Didier Burkhalter.
Die Antisemitismus-Konferenz geht auf die Erklärung von Berlin vom 29. April 2004 zurück, in der die OSZE-Teilnehmerstaaten antisemitische Äusserungen und Gewalttaten klar verurteilt hatten. Sie vereinbarten damals auch Massnahmen zur Bekämpfung von Antisemitismus.
Im Interview mit SRF spricht Sabine Simkhovitch-Dreyfus, Vizepräsidentin der eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR, über die besorgniserregende Situation in der Schweiz, über fehlenden politischen Willen und neue Herausforderungen im Kampf gegen Antisemitismus.
SRF: Hat man die Ziele, die man sich 2004 mit der Erklärung von Berlin gesteckt hatte, erreicht?
Sabine Simkhovitch-Dreyfus: Die Bilanz ist nicht sehr positiv. Wenn man zurückschaut, haben sich der Rassismus und besonders der Antisemitismus in den letzten zehn Jahren verschärft. Einige der Empfehlungen sind umgesetzt worden. Gewisse Kantone in der Schweiz haben etwa erzieherische Massnahmen umgesetzt. Aber im Allgemeinen hat sich die Situation verschlechtert.
Welche der Massnahmen aus der Deklaration von 2004 vermissen Sie besonders in der Schweiz?
Ich habe das Gefühl, dass der politische Wille fehlt, in Bezug auf Rassismus etwas zu unternehmen, weil man mehr aus der Defensive heraus agiert. Erst wenn sich die Situation anspannt, bemerkt man, dass sich der Antisemitismus verschärft hat. In der Schweiz war das vor allem im letzten Sommer sehr stark der Fall. Da ging es nicht um allgemeine Israel-Kritik, sondern um Aussagen wie «Schade, dass Hitler sein Werk nicht zu Ende gebracht hat» oder «Gehen wir ins Judenviertel und verprügeln die Juden». Man hat in solchen Fällen nur wenig offizielle Unterstützung. Neue Mittel werden zudem nur sehr spärlich gesprochen.
Bringt die Verbreitung von sozialen Medien dabei neue Herausforderungen?
Ganz bestimmt. Das wird an der Konferenz ein wichtiger Punkt sein, der vor zehn Jahren noch kaum Thema war. Das ist ein Bereich, in dem sich die Situation sehr schnell entwickelt – und zwar nicht im positiven Sinn. Die Erfahrungen im letzten Sommer haben uns Juden gezeigt, wie stark sich aggressive und drohende Äusserungen in sozialen Medien verbreitet haben. Dies nicht nur auf der Ebene des Antisemitismus, sondern Rassismus im Allgemeinen. Man hat das Gefühl, dass man im Internet sagen kann, was man will. Das lässt sich dann auch nur schwer zurücknehmen. Es gibt kaum Hemmungen, wie es sie im direkten Kontakt mit Menschen gibt. Auffällig ist, dass sich viele Leute nicht anonym, sondern mit ihrem Namen und Foto äussern. Solche Äusserungen geschehen heute spontaner als früher, als man sich für einen Brief Zeit nehmen musste.
Die Konferenz findet unter der Schirmherrschaft der OSZE statt, mit Bundespräsident Didier Burkhalter als Vorsitzendem. Haben Sie spezielle Erwartungen an ihn?
Natürlich erhoffe ich mir klare Worte. Aber nicht nur an der Konferenz gegen Aussen, sondern auch in der Schweiz gegen Innen. Ich will damit nicht sagen, dass es da zwei verschiedene Sprachen gibt. Aber man weiss ja: Was an einer Konferenz gesagt wird, wird nicht unbedingt hierzulande gehört.
Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.