Diese Politiker kämpfen um die Macht
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Bild 1 von 6. Beata Szydlo (PiS) wird wohl nach den Wahlen Premierministerin Polens. Die Politikerin hat einen guten Wahlkampf geführt: Sie machte die schrillen Töne anderer PiS-Exponenten vergessen und die Partei damit attraktiv für Wechselwähler. Die Tochter eines Bergarbeiters ist und gibt sich provinziell – in diesen Wahlen ein Erfolgsrezept. Bildquelle: Reuters.
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Bild 2 von 6. Auch PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski hat einen guten Wahlkampf gemacht – weil er sich zurückhielt. Erst in den letzten Tagen schlug er öffentlich die gewohnt hetzerischen Töne an, wodurch die Partei laut Umfragen ein paar Wähler verlor. In seiner Partei herrscht er. Offen ist, wie stark er die zukünftige PiS-Premierministerin Szydlo steuern wird. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 6. Die Noch-Premierministerin Ewa Kopacz (PO) wirkte im Wahlkampf zunehmend hilflos. Vor einem Jahr übernahm sie Regierung und Partei von Donald Tusk – wenig Zeit zur Vorbereitung einer Wahl. Überdies machte ein Abhörskandal ihrer Partei zu schaffen. Wo sie politische Akzente setzte, blieben sie unbemerkt. Die Polen sind Kopaczs Partei müde. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 6. Als Spitzenkandidatin des Linken Bündnisses würde Barbara Nowacka (ZL) Premierministerin, wenn das Bündnis die Wahlen gewänne. Das wird nie geschehen. Doch als Chefin einer sozialliberalen Partei mit Wurzeln in der Zivilgesellschaft hat sie das Zeug, die Linke zu beleben. Und so viele Stimmen zu holen, dass das Bündnis ins Parlament einzieht. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 6. Der Rockmusiker Pawel Kukiz (Kukiz15) kam bei der Präsidentschaftswahl im Frühling auf sensationelle 21 Prozent. Doch danach tat er sich schwer mit der Gründung einer Partei und leistete sich konfuse Wahlauftritte. Er ist rechts und gegen das politische System. Schafft seine Partei die 5-Prozent-Hürde, könnte er ein Koalitionspartner der PiS sein. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 6. Der Ex-Wirtschaftswissenschafter und Ex-Banker Ryszard Petru wurde oft als Experte in polnischen Medien zitiert. Seine Partei hat er dieses Jahr gegründet. Nowoczeszna (die Moderne) ist ultraliberal. Ihr Wahlkampf muss sehr teuer gewesen sein, die Plakate der Partei hängen überall. Regierungsbeteiligung wäre nur in einer Anti-PiS-Koalition möglich. Bildquelle: Reuters.
Worum geht es?
Am Sonntag wählen die Polen ein neues Parlament. Dieses besteht aus dem Senat, der nur beratenden kleinen Kammer. Und dem Sejm, der grossen Kammer. Je nach Zusammensetzung des Sejms wird in den folgenden zwei Wochen eine neue Regierung gebildet.
Steht der Sieg der national-konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) schon fest?
Ja. Die polnischen Umfragen sind nicht sehr zuverlässig, ihre Ergebnisse klaffen zum Teil auseinander. Da will es was heissen, wenn ausnahmslos alle Umfragen die PiS deutlich vorne sehen. Manche Beobachter trauen ihr sogar zu, dass sie im Sejm eine absolute Mehrheit erreicht. Wahrscheinlicher ist aber, dass die PiS die Wahlen zwar gewinnt, sich für die Regierungsbildung aber mühsam Koalitionspartner suchen muss.
Recht und Gerechtigkeit (PiS), das ist doch die Partei des Hetzredners Jarosław Kaczynski?
Ja. Kaczynskis Weltbild ist sehr katholisch und nationalistisch. Immer wieder fordert er, Polen müsse seine Interessen stärker vertreten, global und in der EU. Unter seiner Führung kämpft die Partei gegen gleiche Rechte für Homosexuelle und gegen eine Legalisierung der Abtreibung. Kaczynski war vor bald zehn Jahren Premierminister Polens. Seine Regierung führte das Land international in die Isolation. Hinzu kam eine Kette von Skandalen und Affären, für die vor allem seine Koalitionspartner verantwortlich waren. Nach gut einem Jahr erklärte er die Regierung für gescheitert und setzte Neuwahlen an. Diese Wahlen gewann die Bürgerplattform (PO) haushoch. Sie ist seither an der Macht.
Warum wählen die Polen die Bürgerplattform (PO) jetzt ab?
Das fragen sich viele Beobachter. Denn die polnischen Wirtschaftsdaten sind eigentlich gut. Aber der Aufschwung ist ungleich verteilt. Zwar entsteht ein neuer Mittelstand und auch eine reiche Schicht. Doch für viele junge Leute führt der Einstieg ins Berufsleben über sehr schlecht bezahlte Jobs; in Polen spricht man von «Müllverträgen». Hinzu kommen die regionalen Unterschiede. In manchen städtischen Regionen brummt die Wirtschaft, doch der Aufschwung erreicht viele ländliche Regionen nicht. Dort sieht die Infrastruktur dank EU-Geldern inzwischen zwar oft gut aus, für Arbeit aber müssen die Leute sich anderswo umsehen – in Warschau, Breslau, Deutschland oder Grossbritannien. All das schürt Unzufriedenheit.
Und da war doch noch dieser Abhörskandal?
Richtig. PO-Politiker wurden in einem Luxusrestaurant belauscht. Sie bestellten dort die teuersten Weine, sprachen abschätzig über kleine Leute und zotig über die Weltpolitk. So sagte Aussenminister Sikorski: «Wir haben den Amis einen geblasen.» Und die Ministerin für Infrastruktur und Entwicklung, Elzbieta Bieńkowska: «Wer für 6000 Zloty (1600 Franken) arbeitet, ist einfach nur dumm.» All das ist nicht verboten, aber es sorgte in der Bevölkerung verständlicherweise für Empörung: Die Hälfte aller Polen verdient brutto weniger als 800 Franken, der am häufigsten ausbezahlte Lohn liegt bei 600 Franken. Seither kämpft die PO mit dem Vorwurf, ihre Leute seien der polnischen Wirklichkeit entschwebt.
Warum wenden sich die von der PO Enttäuschten der PiS zu und nicht einer andern Partei?
Weil es zu viele andere Parteien gibt. Die politischen Kräfte neben den zwei grossen Parteien sind zersplittert. Wer sie wählt, wählt womöglich vergebens, weil sie an der 5-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament scheitern könnten. Vielen dieser Protestparteien fehlt überdies die politische Erfahrung. Kurz, die Lage ist unübersichtlich (nicht ganz ernst gemeinte Wahlberatung gibt’s hier). Manche Wähler empfinden das als Dilemma und wollen darum einen leeren Wahlzettel abgeben: Als Protest gegen die ganze politische Kaste.
Was kommt auf Polen zu, wenn die PiS die Macht übernimmt?
Ihre Gegner warnen vor dem Schlimmsten: Ein Rückfall in die Wirren der ersten Kaczynski-Regierung stehe bevor, ein katholisches Diktat, das Ende des liberalen Polens und mit ihm das Ende der wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte. Angekündigt hat die Partei, das neue In-Vitro-Gesetz wieder zu kippen, das auf 67 erhöhte Rentenalter wieder auf 65 zu senken und die Steuern für Unternehmen zu erhöhen, insbesondere für die grossen (ausländischen) Banken und Supermarktketten. In Wirtschaftsfragen tickt die PiS also deutlich links. Der Sozialstaat soll ausgebaut werden – auf Kosten der Wirtschaft. Welche Wahlversprechen sich durchsetzen lassen, hängt jedoch von der zukünftigen Regierungskoalition ab.
Fördert die Flüchtlingskrise diesen Rechtsrutsch mit Linksdrall?
Ja. Weite Teile der polnischen Bevölkerung tun sich schwer mit der Aufnahme von Flüchtlingen, obwohl – oder gerade weil – es in Polen kaum Flüchtlinge gibt. Also forderte die PiS eine harte Linie, während sich die Regierung bei der Frage der EU-Flüchtlingsquoten wand. Erst in den letzten Wochen entdeckte die PO, dass sie ihre Stammwähler mit dem Thema mobilisieren kann, und sprach sich für Solidarität mit echten Flüchtlingen aus. PiS-Chef Kaczynski hingegen sprach von «den Parasiten und Bakterien», die in den Körpern der Migranten harmlos seien, in Polen aber gefährlich werden könnten. Laut Umfragen hat er mit diesen Worten aber eher Wähler vertrieben als gewonnen.