«Dort links ist der Schacht der Kohlengrube. Und dort rechts ist das Haus von Frau Szydło», erklärt Czeslaw Smolka, der 74-jährige Bürgermeister von Przecieszyn. Ein Führung durchs Dorf müsse bei der Grube anfangen. Die Grube liegt im Dorf. Oder besser: Das Dorf ist um sie herum gewachsen.
Die Arbeit der über 1500 Bergarbeiter in einigen hundert Metern Tiefe ist gefährlich. Doch die Grube ist wichtig: Vier von fünf Werktätigen seien hier angestellt, schätzt der Bürgermeister. Und die meisten übrigen in Läden oder Firmen, welche direkt von der Grube leben. «Alles dreht sich ums Bergwerk. Wird es geschlossen, stirbt hier alles.»
Sie ist eine der ihren geblieben
Doch Kohle ist für den polnischen Staat ein Verlustgeschäft. In diesen Tagen wurde das hiesige Werk für den symbolischen Preis von einem Zloty an private Investoren verkauft. Trotz vereinbarter Garantien geht jetzt die Angst um vor einschneidenden Restrukturierungen oder gar einer Schliessung. Erst kürzlich noch hat Beata Szydło hier mit den Bergleuten demonstriert.
In Warschau im Parlament legt sich die Tochter eines Bergmanns für die Kohle verbal ins Zeug. Und in ihrem Heimatdorf zeigt sie den Leuten, dass sie eine von ihnen geblieben ist.
Die Frau, die wahrscheinlich Premierministerin wird, ist aus der Provinz und gibt sich provinziell. Das zieht in ganz Polen, wo viele Regionen im Gefühl leben, der Aufschwung gehe an ihnen vorbei und weite Teile der Bevölkerung denken, die Warschauer Elite sei der polnischen Wirklichkeit entschwebt.
Wenn ich Probleme habe, kann ich hier anklopfen und mit ihr darüber sprechen.
Wir stehen am Dorfrand. Czeslaw Smolka zeigt auf ein Haus, keine Villa, die Zufahrt offen. Nichts deutet darauf hin, dass hier die vielleicht bald mächtigste Frau des Landes wohnt: «Dies ist ihr Anwesen. Hier wohnt sie mit ihrem Mann und den zwei Söhnen, es ist ein grosses, schönes Grundstück mit alten Bäumen. Wenn ich Probleme habe, kann ich hier anklopfen und mit ihr darüber sprechen», sagt der Bürgermeister.
Beata Szydlo höre den Leuten zu, helfe und analysiere. Ihr Wort zähle. Sie sei fleissig und kompetent. Keine Frage, Czesław Smołka traut ihr sehr viel zu. Und ihrer Partei? Er sei selber überrascht, wie positiv er derzeit über die Partei Recht und Gerechtigkeit denke.
Mit moderaten Tönen Sympathien gewonnen
Auch er ist also ein Wechselwähler in dieser Region, in der die Partei von Szydło es bisher schwer hatte. Recht und Gerechtigkeit legt überall zu, und das nicht zuletzt, weil Parteichef Jarosław Kaczynski im Wahlkampf das Richtige tut: Er hält sich weitgehend zurück. Die ultrakatholischen und nationalistischen Hetzreden des Parteichefs verfangen vielerorts nicht - auch nicht in Przecieszyn.
Beata Szydło hat mit einem neuen, moderaten Ton viele Stimmen für die Partei gewonnen. Sollte aber nach der Wahl der Haudegen Kaczynski die neue Premierministerin aus dem Hintergrund wie eine Marionette kontrollieren, könnten sich die Wähler und Wählerinnen wieder abwenden, nicht nur von ihm und seiner Partei.
Bürgermeister Somalka ist überzeugt: «Wenn Szydło sich von dieser Person leiten lässt, verliert sie hier im Dorf den Respekt. Sie schafft das allein. Sie ist jung, sie kann etwas verändern, nicht der alte Kaczinski.»