An der Solidaritätskundgebung für die Opfer der Attentate in Paris nahmen am Sonntag insgesamt 45 Staats- und Regierungschefs teil. Einer von ihnen war der türkische Ministerpräsident Ahmed Davutoglu. Er war einer der bedeutendsten Vertreter eines muslimischen Landes an der machtvollen Demonstration.
Seine Anwesenheit an dem Anlass fand auch Widerhall in den türkischen Medien, weiss Luise Sammann. Sie arbeitet als Journalistin in Istanbul. «Gut, dass Herr Davutoglu dort war. Sonst hätten wir uns vom Ausland wieder Kritik anhören müssen», zitiert sie aus einer regierungsnahen Zeitung am Tag nach der Grosskundgebung in Paris.
Vor allem die säkularen Kräfte im Land hätten die Reise des Ministerpräsidenten begrüsst, so Sammann. «Es gibt aber tatsächlich eine kleine, aber radikale Gruppe, die diese Teilnahme für überflüssig hielt, weil sie die Ereignisse in Paris in einem völlig anderen Licht sieht.» Religiöse Witze und Karikaturen seien für sie tabu.
Bei Mohammed hört der Spass auf
Diese Haltung herrsche allerdings in weiten Teilen der Bevölkerung vor. «Bei Mohammed-Karikaturen oder ähnlichen Sachen verstehen sie keinen Spass», erklärt Sammann. Das bedeute aber nicht, dass die Türken grundsätzlich keinen Spass verstehen würden. «Es gibt auch hier eine grosse Karikaturisten-Szene.»
Diese habe während der Gezi-Proteste eine wichtige Rolle gespielt. Einige hätten dabei kein Blatt vor den Mund genommen. «Das sieht man daran, dass sie immer wieder vor Gericht stehen», erklärt die Journalistin. Und sie fügt hinzu: «Präsident Erdogan ist dafür bekannt, dass er die Zeichner öfter mal wegen Beleidigung verklagt.»
Beim Thema Religion gebe es aber eine «rote Linie», die nicht überschritten werden dürfe, sagt Sammann. «Der Respekt vor allem Religiösen ist in der Türkei einfach sehr tief verankert – und zwar ganz egal, ob man selbst religiös ist oder nicht.»
«Verdächtige Medien» im Visier Erdogans
In Bezug auf die Pressefreiheit in der Türkei hält die Journalistin fest: «Es ist nicht so, dass man nichts Kritisches über die Regierung schreiben oder sagen darf.» In den Zeitungen gebe es täglich Artikel, die kein gutes Haar an Erdogan liessen.
«Das Problem sind Medien, die sich verdächtig machen, systematisch gegen die Regierung zu arbeiten, oder die einer Gruppierung zuzuordnen sind – der der kurdischen PKK oder der Gülen-Bewegung», sagt Sammann. Diese Journalisten würden in ihrer Arbeit eingeschränkt oder sogar verhaftet. «Das heisst, das Verständnis der Pressefreiheit ist hier ein ganz anderes als in Europa.»
Auch sie stehen nicht für Pressefreiheit
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Bild 1 von 6. In den Palästinensergebieten sind Journalisten Gewalt, Drohungen und Festnahmen ausgesetzt. Im Westjordanland wie auch im Gazastreifen drohen Medien der jeweils konkurrierenden politischen Kraft Verbote. Journalisten müssen mit Verhören und Festnahmen für Regierungskritik rechnen. Hier im Bild (Mitte): Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 6. Die türkische Regierung übt zum Teil direkten Druck auf die Medien aus. Redaktionen müssen regierungskritische Berichte oftmals wieder von Webseiten entfernen. Strenge Internetgesetze ermöglichen zudem das Blockieren kritischer Webseiten. Hier im Bild: Ministerpräsident Ahmet Davutoglu. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 6. In Russland sind die TV-Sender weitgehend unter Kontrolle des Kremls. Kritische Medien geraten regelmässig unter Druck, Journalisten müssen mit gezielten Anschlägen rechnen. Strenge Internetgesetze ermöglichen zudem das Sperren unliebsamer Webseiten. Blogs von Kremlkritikern werden oft gelöscht. Hier im Bild: Aussenminister Sergej Lawrow. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 6. König Abdullah (Mitte) kontrolliert Journalisten mit strenger Hand: Medien unterliegen in Jordanien einer Lizenzpflicht. Berichte über Korruption werden mit Geldstrafen geahndet. Politische Einflussnahme auf redaktionelle Inhalte, Einschüchterung und Selbstzensur gehören zum Alltag. 2012 wurde die Lizenzpflicht auf Online-Portale ausgeweitet. Bildquelle: Reuters.
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Bild 5 von 6. Präsident Ibrahim Keita aus Mali marschierte an der Seite von Frankreichs Präsident François Hollande mit. Allerdings: Gemäss Reporter ohne Grenzen häufen sich seit einem Putsch im Frühjahr 2012 die Übergriffe auf Journalisten. Nicht nur im Norden des Landes sondern auch im Einflussbereich der Regierung in der Hauptstadt Bamako. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 6. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán hat die Medien strukturell unter seine Kontrolle gebracht. Schwammige Forderungen wie «ausgewogene Berichterstattung» oder die «Wahrung der menschlichen Würde» führen zu Selbstzensur. Denn: Eine Aufsichtsbehörde, deren Mitglieder die Regierung bestimmt, kann bei Verletzung der Vorgaben Strafen verhängen. Bildquelle: Keystone.