Fast eine Viertelmillion Menschen sind seit Jahresbeginn über das Mittelmeer nach Europa geflohen. Bereits jetzt seien mehr Bootsflüchtlinge in Griechenland, Italien, Spanien, Malta und anderen europäischen Ländern angekommen als im gesamten Jahr 2014, teilte die Internationale Organisation für Migration (IOM) in Genf mit. Nahezu täglich würden rund 1000 Migranten vor den Küsten Italiens und Griechenlands an Land gehen – meist mit Hilfe von Rettungskräften. Etwa 2300 Flüchtlinge kamen laut IOM seit Jahresbeginn im Mittelmeer ums Leben.
Doch die Flüchtlingsströme erreichen Europa nicht allein auf dem Seeweg. Ungarn ist nach Einschätzung der EU-Kommission inzwischen einer der Hauptzugangswege nach Europa. Im vergangenen Monat seien dort 35'000 Menschen angekommen, erklärt EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos in Brüssel: «Dies bedeutet, dass Ungarn sich Italien und Griechenland anschliesst als einer der exponiertesten Mitgliedsstaaten, in vorderster Front.»
Mehr Flüchtlinge über den Balkan
Zunehmend gelangten Flüchtlinge über die Staaten des Balkans in die Europäische Union, sagte der EU-Kommissar. «Einige dieser Länder ergreifen nicht die notwendigen Massnahmen.» Auch Menschenschmuggler hätten die Region für sich entdeckt.
Avramopoulos lässt keinen Zweifel an seiner Sicht der Gesamtsituation aufkommen: «Die Welt steht heute vor der schlimmsten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg».
EU-Flüchtlingshilfen für Athen
Als besonders schwierig beschreibt Avramopoulos, selbst Grieche, die Situation in seinem Heimatsland. Griechenland sehe sich einer wachsenden Zahl von Flüchtlingen ausgesetzt – viele davon mit einem berechtigten Interesse an Schutz, wie der Politiker sagt. Er hatte sich in Athen mit Politikern über die Lage beraten.
Die Regierung des Landes will Avramopoulos zufolge zusätzliche Unterstützung für den Umgang mit den Flüchtlingen beantragen. Nach Avramopoulos' Worten soll Griechenland bis 2020 insgesamt 474 Millionen Euro aus EU-Töpfen an zielgerichteten Hilfen erhalten. Sobald Athen eine zuständige Behörde eingerichtet habe, könne eine erste Tranche von 30 Millionen Euro innerhalb von vier bis fünf Tagen fliessen.
«Neun Beamte für Tausende»
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Viele Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten im Nahen Osten gelangen von den griechischen Ägäis-Inseln auf das Festland. Tausende harren auf Ferieninseln wie Rhodos, Kos, Samos, Chios oder Lesbos in provisorischen Unterkünften, in Sportstadien oder im Freien aus. Damit sie auf das griechische Festland fahren dürfen, müssen sie zuvor registriert werden.
Auf Kos, wo die Lage der Kriegsflüchtlinge sich in den vergangenen Tagen dramatisch zugespitzt hatte, verlangte der Hoteliersverband eine drastische Verstärkung der Polizeikräfte. «Neun Beamte der Ausländerpolizei müssen sich um Tausende Flüchtlinge kümmern.»
Dies habe zur Folge, dass die Asylbewerber für ihre Registrierung stundenlang in der prallen Sonne ausharren müssten, was dann zu Spannungen und gewaltsamen Zwischenfällen führe.
Registrierung auf dem Schiff
Die griechische Regierung schickte eine Fähre nach Kos, auf der etwa 2500 Flüchtlinge provisorisch untergebracht werden können. Sie traf am Freitag ein. Nach übereinstimmenden Berichten der griechischen Medien sollen die Flüchtlinge so lange auf dem Schiff wohnen, bis der Prozess der Registrierung und andere Formalien abgeschlossen seien. Dies könne etwa zwei Wochen dauern.
Auf den Inseln der nördlichen Ägäis leben 298'000 Menschen. Seit Anfang dieses Jahres haben wir 119'000 Flüchtlinge aufgenommen. Das überschreitet unsere Möglichkeiten
Die Verwaltung der Inselhauptstadt kündigte an, dass es ab Montag in den Parks und auf den Gehwegen keine Zelte mit Flüchtlingen mehr geben werde. Polizei- und Hafenbeamte reagierten jedoch mit Skepsis. «Wenn viele Menschen unterschiedlicher Nationalitäten in geschlossenen, engen Räumen untergebracht werden, entstehen nach unserer Erfahrung rasch Spannungen, die an Bord eines Schiffes kaum unter Kontrolle gebracht werden können», warnte ein Beamtenverband. «Die Fähre sollte besser für den Transport der Flüchtlinge auf das Festland genutzt werden.»
Kein Platz auf den Fähren
Auf der Insel Lesbos wurde das Verfahren der Registrierung beschleunigt, aber nun stellt sich ein neues Problem: Die Flüchtlinge finden keinen Platz auf den Fähren nach Piräus, weil die Schiffe in der Urlaubssaison ausgebucht sind.
«Wir haben 1700 Flüchtlinge registriert, aber sie können die Insel nicht verlassen, weil es für sie keine Tickets gibt», beklagte die Chefin der Provinzverwaltung, Christina Kalogirou. «Auf den Inseln der nördlichen Ägäis leben 298'000 Menschen. Seit Anfang dieses Jahres haben wir 119'000 Flüchtlinge aufgenommen», berichtet die Verwaltungschefin. «Das überschreitet unsere Möglichkeiten.»