SRF News: Wie waren Ihre ersten Eindrücke in Sindschar?
Birgit Svensson: Ich war zuerst entsetzt. Die Stadt ist völlig platt gemacht, ein Trümmerhaufen. Als ich nach Sindschar hineingefahren bin, kamen mir Autos entgegen, beladene Pick-Ups und Pkws. Zum Teil handelte es sich um Plünderungen. Es waren auch Jesiden, die nach langer Zeit zurück in die Stadt gekommen sind und schauen, was von ihren Häusern und Habseligkeiten übrig geblieben ist. Sie haben ihre Sachen dorthin gebracht, wo sie in der Zwischenzeit untergekommen sind.
Bewohnbar ist Sindschar also nicht mehr?
Überhaupt nicht. Die Stadt muss zunächst wieder aufgebaut werden. Einige Peschmerga-Offiziere haben gesagt, sie hätten drei Massengräber gefunden, in denen zwischen 100 und 200 Jesiden begraben liegen. Sie vermuten, dass es noch andere Gräber gibt. Im August letzten Jahres ist der IS in die Stadt einmarschiert und hat die Kontrolle übernommen. Damals haben die Leute die Stadt fluchtartig verlassen und alles zurückgelassen. Viele haben mir aber gesagt, dass sie jetzt noch nicht zurückkommen, denn sie sind auch skeptisch, ob die Lage so bleibt.
Durch die Luftangriffe der Amerikaner wurde die Zahl der IS-Kämpfer stark minimiert.
Weshalb verlief die Rückeroberung der Stadt so schnell?
Das hat mich auch überrascht. Die anderen Rückeroberungen in Tikrit oder der Raffinerie von Baidschi zogen sich über Monate hin. In Sinjar soll der IS die Stadt schon verlassen haben, als die Peschmerga mit 7500 Mann anrückte. Die Stadt wurde in den letzten Monaten von den Amerikanern bereits sehr stark bombardiert – deshalb die grosse Zerstörung. Dadurch wurde die Zahl der IS-Kämpfer bereits stark minimiert.
Wohin sind denn die IS-Kämpfer geflohen?
Man hat mir gesagt, dass sie teilweise nach Mosul gegangen sind, woher sie auch vor einem Jahr gekommen sind. Ein Teil soll aber auch nach Syrien geflohen sein. Wobei man dies nicht so genau weiss. Die Kämpfer seien in alle Richtungen geflohen. Jedes Mal wenn bombardiert wurde, waren wieder ein paar weg.
Die Millionenstadt Mosul ist immer noch unter der Kontrolle des IS. Könnte die Stadt das nächste Ziel der kurdischen Peschmerga sein?
Für die Peschmerga alleine wäre Mosul wohl zwei Nummern zu gross – das sagen sie auch selber. Mosul hatte über zwei Millionen Einwohner, als der IS die Stadt im Juni letzten Jahres überrannte. Die Hälfte davon ist in der Zwischenzeit geflohen. Die Peschmerga sagen, dass sie bereit sind, mitzumachen, aber sie werden das nicht alleine tun. Es muss eine kooperierte Aktion zusammen mit der irakischen Armee, vielleicht einigen Schiiten-Milizen und vor allen Dingen mit den Amerikanern sein.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass wenn der IS auf der einen Seite geschwächt wird, wird er auf der anderen Seite stärker.
Kann man nach der Eroberung Sindschars von einer Schwächung des IS reden?
Aus der Erfahrung der letzten Monate wäre ich da skeptisch. Erinnern wir uns an Tikrit: Die Stadt wurde in ganz harten Kämpfen mit vielen Toten zurückerobert. Zwei Wochen später bereits hat der IS Ramadi eingenommen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass wenn der IS auf der einen Seite geschwächt wird, wird er auf der anderen Seite stärker.
Der IS wird an mehreren Fronten bekämpft und aus der Luft bombardiert. Wie verhält sich da die Terrormiliz?
Es könnte ihnen zum Verhängnis werden, dass sie an so vielen Fronten kämpfen und diese zum Teil auch selbst aufgemacht haben; Syrien, Irak, Europa – da verheddern sie sich. Ich glaube, dass der IS mit der Zeit besiegt werden kann, aber dies erfordert unbedingt ein koordiniertes Handeln aller Kräfte, die gegen den IS arbeiten.
Das Gespräch führte Urs Gilgen.