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Syrische Flüchtlinge
Legende: Eine grosse Familie gilt als Ideal. Aber die Kleinfamilie gewinnt unter Syrern zusehends an Bedeutung. Keystone

International Syrer – Menschen wie du und ich?

Vom Staat Syrien flieht die halbe Bevölkerung. Nach Deutschland, Österreich und auch in die Schweiz. Die Solidarität ist hierzulande zwar gross. Doch auch Skepsis ist zu spüren. Dabei kann ein nüchterner Blick auf den fremden Flüchtling offenbaren: Einiges an ihm ist uns nicht unvertraut.

Die Syrer sind in aller Munde. In Österreich und Deutschland kommen sie in Scharen an. Und wie Bundespräsidentin Sommaruga im Namen des Bundesrats suggerierte, werden sie auch den grössten Teil der in der Schweiz aufzunehmenden Flüchtlinge ausmachen.

Das Wissen vom Syrer – vom Menschentypen also – scheint im Schweizer Volk nicht allzu gross zu sein. Moslems, werfen die einen ein. Auch Christen, sagen die anderen. Doch darüber hinaus bleiben viele Fragen offen. Welche Sprache(n) sprechen die Menschen, die da bald zu uns kommen? Welches Bildungsniveau haben sie? Wie arm/reich sind sie im Verhältnis? Und wie sind sie gesellschaftlich organisiert?

Jonas Röllin

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Jonas Röllin ist Mitarbeiter am Institut für Islamwissenschaft und Neuere Orientalische Philologie an der Universität Bern. In seiner Forschung widmet er sich unter anderem den Muslimen in der schweizerischen Öffentlichkeit. Im Rahmen eines längeren Studienaufenthaltes war Jonas Röllin auch in Syrien.

Bevölkerungsgruppen

In groben Zahlen setzt sich die ethnische Bevölkerung Syriens wie folgt zusammen: 85 Prozent Araber, 8 Prozent Kurden, 3 Prozent Armenier, 2 Prozent Turkmenen, 2 Prozent Kaukasier. Laut Jonas Röllin gelangen nun Angehörige aller dieser Bevölkerungsgruppen nach Europa und in die Schweiz.

Denn «der Bürgerkrieg überzieht praktisch das ganze Land, und es handelt sich nicht um einen einseitigen ethnischen Konflikt», sagt der Forschungsassistent am Institut für Islamwissenschaft und Neuere Orientalische Philologie der Universität Bern.

Sprachen

Die Syrer sprechen alle Arabisch im syrischen Dialekt. Allerdings ist die Muttersprache der Kurden, Turkmenen, Armenier und anderen Minderheiten ihre eigene Sprache (also etwa Kurdisch, turkmenisch, armenisch). Die meisten jüngeren Syrer können sich derweil gut auch im Okzident verständigen. Gemäss Röllin haben sie sich «in der Schule, über das Internet oder das Fernsehen relativ gute Englischkenntnisse angeeignet.»

Religion als Bekenntnis

Der Grossteil der Syrer sind mit 88 Prozent Muslime – darunter rund 75 Prozent Sunniten, 10 Prozent Alawiten, 2 Prozent Drusen und 1 Prozent Schiiten und Ismailiten. Zu den verschiedenen christlichen Konfessionen bekennen sich rund 12 Prozent. Auch im Hinblick auf die Religion gilt, dass die Flüchtlinge die Verhältnisse im Land widerspiegeln. Einzig die Alawiten kommen in eher geringerer Zahl, da deren Stammesgebiet – die ans Mittelmeer angrenzende Region im syrischen Nordwesten – bis anhin von grösseren Auseinandersetzungen verschont geblieben ist.

Syrische Frau mit Kopftuch.
Legende: Für Syrer ist es selbstverständlich, einer Religion anzugehören. Das zeigen sie etwa mit dem Kopftuch. Keystone

Region in der Praxis

Laut Röllin ist es für die meisten Syrer selbstverständlich, zu einer bestimmten Religionsgruppe zu gehören. «Dies wird durchaus auch symbolisch ausgewiesen. Etwa durch ein grosses Kreuz-Tattoo am Arm oder durch ein Kopftuch.» Auch der Ramadan habe für viele eine grosse Bedeutung. Abgesehen davon «praktizieren Syrer ihre Religion aber kaum mehr als Menschen in Europa.»

Bildungsniveau

Das Bildungsniveau war, wenigstens bis zum Ausbruch des Krieges vor vier Jahren, bei Frauen und Männern eher hoch. Bildung, auch Universitätsbildung, galt bis anhin als ein Mittelschichtphänomen. Laut Röllin verfügen die Syrer ferner über verschiedene typische handwerkliche Kompetenzen. Sie beherrschen etwa die Herstellung und dekorative Verarbeitung von Möbeln, die Metall- und Schmiedekunst oder auch die Textilproduktion und -verarbeitung.

Soziale Organisation

Die meisten Syrer organisieren ihr Leben in grösseren Familien. Sie zählen zu ihrer unmittelbaren Familie oft auch Grosseltern, Onkel, Tanten und Cousinen. «Eine grosse Familie gilt vielen als natürliches Ideal, und die familiären Bindungen sind in der Regel sehr eng», sagt Röllin. Traditionelles Familienoberhaupt ist prinzipiell der Ehemann und Vater. «Jedoch haben sich», so Röllin, «auch in Syrien in den letzten Jahrzehnten die Geschlechtervorstellungen und -rollen stark verändert.» Wenigstens in den Städten gewinnt auch in Syrien die Kleinfamilie an Bedeutung.

Gesellschaftlicher Status

Grundsätzlich gehören die meisten Syrer der Mittelschicht an. Syrien gilt denn auch nicht als Entwicklungsland. Welche finanziellen Voraussetzungen die Menschen haben, die aktuell nach Europa und in die Schweiz gelangen, ist indes noch schwierig zu sagen. Für eine Klärung müssen sich Abertausende Flüchtlinge erst einmal registrieren.

Ein halbes Volk auf der Flucht

Ein halbes Volk auf der Flucht
Syrien hat rund 22 Millionen Einwohner. Fast die Hälfte, nämlich zwischen 11 und 12 Millionen, sind seit Beginn des Bürgerkrieges flüchtig. 4 Millionen haben das Land verlassen. Zwischen 7 und 8 Millionen gelten als landesintern Vertriebene. Die meisten der fliehenden Syrer, die ausser Landes geflohen sind, halten sich aktuell in den unmittelbaren Nachbarländern auf. Zuvorderst in der Türkei: 1,9 Millionen. Hernach im Libanon: 1,1 Millionen. Sodann in Jordanien: 600'000, im Irak: 250'000 und in Ägypten 130'000. In Europa haben seit Beginn des Konflikts im Jahr 2011 430'000 Syrer um Asyl ersucht. Rund ein Viertel davon in Deutschland. Weit mehr wollen aber nach Deutschland (weiter-)reisen. Neben Deutschland sind Schweden, Dänemark und Norwegen unter den Syrern die beliebtesten Länder. Etwas weniger von ihnen wollen nach Österreich, England, in die Schweiz, nach Frankreich und Holland gelangen. Die Syrer sind über vorwiegend informelle Internetnetzwerke organisiert, die teils wiederum an zivilgesellschaftliche und humanitäre Verbände gekoppelt sind.
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