Nach dem Blutbad von San Bernardino druckte die Zeitung «New York Times» in ihrer Samstagsausgabe erstmals seit fast hundert Jahren auf der ganzen Frontseite einen Kommentar. «Beendet die Waffenepidemie in den USA» lautete der Titel.
Die Boulevardzeitung «Daily News» sammelte auf ihrer Webseite Tweets von republikanischen Politikern, die für die Opfer des Massakers beten wollten. «Gott wird das Problem nicht lösen.» stand in grossen Lettern dazwischen. Beide Zeitungen forderten die Politik dazu auf, zu handeln und den Zugang zu Waffen zu beschränken.
In den USA sind so viele Waffen im Umlauf wie Einwohnerinnen und Einwohner. Dieses Jahr kam es landauf, landab praktisch täglich zu Schiessereien, bei denen mehr als eine Person starb. Die Wahrscheinlichkeit, erschossen zu werden, ist in den USA acht Mal höher als in den restlichen westlichen Ländern.
Kongress verhindert neue Waffengesetze
Die republikanische Partei sowie einige Demokraten stehen aber stramm hinter der Waffenlobby. John Kasich, Gouverneur von Ohio und wohl der moderateste Kandidat im republikanischen Präsidentschaftsrennen, erklärte auf dem Sender Fox News:
«Ich denke nicht, dass strengere Waffengesetze dieses Problem lösen werden. Die Menschen wollen sich verteidigen können, und jene, die Schaden anrichten wollen, werden einen Weg finden, Waffen zu beschaffen.»
Mit solchen Argumenten schickt der Kongress seit Jahren jedes Gesetz bachab, das den Kauf von Sturmgewehren oder grossen Magazinen beschränken soll. Sogar nach dem Tod von mehr als 20 Schulkindern in Newtown Conneticut vor drei Jahren weigerte sich die Mehrheit im Kongress, die Waffen-Gesetze zu verschärfen.
Terrorverdächtige dürfen Waffen kaufen
Präsident Barack Obama ist deshalb desillusioniert und konzentrierte sich in den letzten Tagen nur noch auf ein extremes Beispiel, das illustriert, wie locker der Zugang zu Waffen in den USA geregelt ist: «Personen, die sich momentan auf der Terrorverdachtsliste befinden und deshalb kein Flugzeug besteigen dürfen, können in einen Laden gehen und eine Waffe kaufen». Wahnsinn sei das, sagte der Präsident.
Den Kongress kümmert das nicht. Vergangenen Donnerstag, einen Tag nach dem Massaker in San Bernardino, beriet der Senat ein Gesetz, das es Terrorverdächtigen verbieten würde, Waffen zu kaufen. Die Senatorinnen und Senatoren lehnten es deutlich ab. Der mächtigen Waffenlobby National Rifle Association NRA gelingt es, sich mit der Pflege des Mythos‘ um das Grundrecht zu bewaffnen und mit Wahlspenden die Volksabgeordneten auf Kurs zu halten.
Derweil eilen wie nach jeder Massenschiesserei viele Menschen an die Waffenmessen und -Läden und rüsten auf. Die Verkaufszahlen steigen seit dem Anschlag in Paris deutlich an, am Grosseinkaufstag, dem Freitag nach dem Erntedankfest vor gut einer Woche, wurde eine Rekordzahl von Waffen verkauft. Einzelne Sheriffs fordern die Bevölkerung sogar auf, sich zu bewaffnen, wie etwa in Ulster County im US-Bundesstaat New York. Getrieben durch eine diffuse Angst kaufen die Menschen in den USA noch mehr Waffen – und werden dadurch immer unsicherer.