Bereits am Dienstag erwartet der Internationale Währungsfond (IWF) die Begleichung der nächsten Schuldenrate: 756 Millionen Euro muss Griechenland überweisen. Die Euro-Gruppe beschäftigt darüber hinaus, ob Griechenland hinsichtlich konkreter Reformpläne endlich Fortschritte vorweisen kann. Die Journalistin Corinna Jessen beurteilt für SRF News im Vorfeld des Treffens den Stand der Dinge in Athen.
Das ist die Ausgangslage
«Syriza – die Partei des griechischen Regierungschef Alexis Tsipras – hat sich in einigen wichtigen Punkten so stark bewegt, dass man wohl von einer Rolle rückwärts sprechen muss: Wahlversprechungen wie die sofortige Erhöhung des Mindestlohnes und Wiedereinstellungen im öffentlichen Dienst, sind vertagt worden.
Ein angekündigter Steuerfreibetrag bis 12‘000 Euro im Jahr kommt nicht. Die verhasste Immobiliensteuer bleibt. Mehrwertsteuersätze werden angeglichen und damit für viele Waren und Dienstleistungen angehoben. Privatisierungen sollen nun doch entgegen der ursprünglichen Absicht durchgeführt werden.
Aber eine sogenannte «rote Linie» bleibt: Die Weigerung, Renten weiter zu senken. Allerdings könnte da die neue Forderung der Kreditgeber, staatliche Subventionen für die Rentenkassen auszuschliessen, letztendlich doch zu weiteren Rentenkürzungen führen. Insgesamt ist das folglich eine ganze Reihe an Rückziehern, doch bringen die Kreditgeber auch immer wieder neue Forderungen auf den Tisch.»
Das erwartet Ministerpräsident Tsipras
«Alexis Tsipras kann für sich jedenfalls einen Verhandlungserfolg verbuchen: Griechenland muss keinen Überschuss — wie zunächst verlangt — von 2 Prozent sondern wohl nur von unter 1 Prozent des Bruttoinlandproduktes vorweisen. Das macht weniger Massnahmen erforderlich.
Nach der siebenstündigen Kabinettssitzung am Sonntag hat Tsipras verlauten lassen, er erwarte von der Euro-Gruppe heute, wenn kein Durchbruch, so dass diese wenigstens der Erfolg, der in den letzten Wochen erzielt worden sei, klar dokumentiere. Der griechische Regierungschef weiss natürlich, dass die Signale aus Brüssel darauf hindeuten, dass man auch nach dem heutigen Treffen sagen wird, von einer Einigung zu sprechen wäre verfrüht.
Für Tsipras ist eine politische Erfolgsmeldung enorm wichtig, da er nämlich hofft, dass eine solche Botschaft der EZB die Möglichkeit geben wird, den Geldhahn für Griechenland wenn schon nicht wieder auf, so doch zumindest nicht immer weiter zuzudrehen. Im gleichen Atemzug hat Tspiras aber auch gesagt, eine Einigung müsse sich im Auftrag seiner Wähler bewegen – mit anderen Worten, er könne in den Verhandlungen nicht noch weiter seine sogenannten «roten Linien» überschreiten.»
Die Verhandlungen ohne Finanzminister Varoufakis
«Es gibt griechische Medien, die behaupten: Seitdem die griechische Verhandlungsgruppe umgebildet wurde (Alexis Tsipras zog Finanzminister Yanis Varoufakis aus den kontinuierlichen Verhandlungen mit Brüssel zurück, die Redaktion), werde überhaupt verhandelt.
Vielleicht ist das etwas übertrieben aber Tatsache ist, dass die Kreditgeber der jetzigen Verhandlungsgruppe zuschreiben, endlich gut vorbereitet zu sein und dass die etwa 70 Personen aus Athen die nötigen Unterlagen, auch die nötigen Entscheidungsbefugnisse nun mit brächten, um in konkreten Einzelpunkten voranzukommen.
Varoufakis selbst hat zwar erneut mit einer theoretischen Abhandlung von 36 Seiten für Verwirrung gesorgt. Aber, wie er sogar selbst sagt, bezöge sich diese Abhandlung nicht direkt auf die laufenden Verhandlungen — sie ist wohl eher ein Beitrag zur ideologischen Diskussion die parallel zu den Verhandlungen in Athen weiter läuft.»
Die nächstfällige Schuldentranche
«Finanzminister Varoufakis sagte, er werde die 750 Millionen Euro an den IWF pünktlich zahlen. Und auch in Brüssel ist man offensichtlich nicht sonderlich besorgt, dass diese Rate aus Athen nicht überwiesen werden könnte.
Aus der gestrigen Sitzung des griechischen Kabinetts ist jedoch durchgesickert, dass zumindest einige der Regierungsmitglieder weiterhin mit dem Gedanken spielen, diese Rate nicht zu überweisen – und zwar nicht nur, um die Lohn- und Rentenzahlungen Ende des Monats zu beschaffen, sondern auch immer noch im Glauben, damit ein Faustpfand gegenüber den Kreditgebern zu haben und die Eurogruppe damit heute unter Druck setzen zu können.»
Das Gespräch mit Corinna Jessen führte Tina Herren.