Mit zahlreichen Entlassungen bei der Polizei dreht der Korruptionsskandal in der Türkei auch am Sonntag weiter. Gemäss Medienberichten sollen 25 weitere Polizeichefs entlassen worden sein. Damit steigt die Zahl der suspendierten oder versetzten Beamten auf 70. Die Zeitung «Hürriyet Daily News» spricht von einer «massiven Säuberungsaktion».
Der neue Polizeichef von Istanbul hat den Berichten zufolge als eine seiner ersten Massnahmen nach Amtsantritt Journalisten untersagt, die Dienststellen des Landes zu betreten.
«Ausländische Regierungen schuld»
In den vergangenen Tagen sind in der Türkei 24 Menschen – darunter drei Söhne von Ministern – als Teil der Korruptionsermittlungen festgenommen worden.
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gerät damit immer stärker unter Druck. Er beschuldigte am Samstag ausländische Regierungen, an einer Kampagne gegen seine Regierung beteiligt zu sein. Ähnliche Vorwürfe hatte Erdogan im Zusammenhang mit den landesweiten Protesten gegen seine Regierung im Sommer erhoben.
Kritiker verdächtigen die Regierung, die Ermittlungen behindern zu wollen. Bei den Untersuchungen geht es unter anderem um Schmiergeldzahlungen, illegale Baugenehmigungen und Geldwäsche.
Polizei setzt Wasserwerfer ein
Der Korruptionsskandal erschüttert die Türkei seit Dienstag, als bei Grossrazzien in Istanbul und Ankara mehr als 50 Menschen festgenommen wurden. In Istanbul und der Hauptstadt Ankara kam es am Wochenende zu Demonstrationen gegen Korruption und gegen Bauprojekte der Regierung.
Türkische Medien berichteten, in Istanbul habe die Polizei am Sonntag Tränengas und Wasserwerfer gegen Demonstranten eingesetzt.
Ermittlungen ein Angriff Gülens?
In der Türkei werden die Korruptionsermittlungen weithin als Angriff der Bewegung des in den USA lebenden türkischen Predigers Fethullah Gülen auf die Erdogan-Regierung gewertet. Gülen wird grosser Einfluss innerhalb der Polizei und Justiz nachgesagt.
Zwischen der mächtigen Gülen-Bewegung und Erdogan-Anhängern schwelt seit Wochen ein Konflikt, der das islamische Lager spaltet. Gülen hat jede Verantwortung für die Razzien zurückgewiesen. Er kritisierte nach Angaben der Gülen-Zeitung «Today's Zaman» zudem die Amtsenthebungen bei der Polizei.
«Diejenigen, die den Dieb nicht sehen, sondern diejenigen verfolgen, die versuchen, den Dieb zu fangen (...) – lass Gott Feuer auf ihre Häuser bringen», sagte Gülen dem Blatt zufolge in einer Videobotschaft. Gülen beklagte demnach zugleich einen «asymmetrischen Angriff» auf seine Bewegung, der das Ziel habe, diese zu vernichten.