Rund zwei Monate vor der Parlamentswahl hat das türkische Parlament eine Verschärfung des Demonstrationsrechts und eine stärkere Kontrolle des Internets beschlossen. Mit der Mehrheit der islamisch-konservativen AKP verabschiedeten die Abgeordneten in Ankara ein Gesetzespaket, das unter anderem der Polizei deutlich mehr Vollmachten einräumt.
Damit bewege sich die Türkei immer mehr in Richtung Polizeistaat, argumentieren Kritiker. Angehörige der kurdischen Minderheit im Land äusserten sich besorgt, dass das Gesetz insbesondere gegen sie angewandt werden könnte.
Schiessen ohne Angriff
Mit dem neuen Gesetz sollen Polizisten künftig in bestimmten Situationen auf gewalttätige Demonstranten schiessen dürfen, ohne selber angegriffen worden zu sein. Durchsuchungen und Festnahmen sollen erleichtert werden. Ausserdem sieht das Gesetz ein Vermummungsverbot bei Kundgebungen vor.
Verstösse sollen mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden, wenn bei der Demonstration für «Terrororganisationen» geworben wird. Die Aufsicht der formell unabhängigen Richter und Staatsanwälte über die Polizei soll geschwächt werden. Dafür sollen die von der Regierung ernannten Gouverneure mehr Einfluss auf die Sicherheitskräfte bekommen.
Die Organisation Human Rights Watch kritisierte, dass Polizisten bereits auf bewaffnete Demonstranten sollen schiessen dürfen, wenn diese versuchen, Gebäude oder Fahrzeuge anzugreifen. Auch der Europarat und die EU hatten Kritik an dem Gesetzentwurf geäussert.
Internetzensur
Ebenfalls beschlossen wurde ein neues Internetgesetz, das der Regierung die Macht gibt, Webseiten, auf denen etwa «zur Störung der öffentlichen Ordnung» aufgerufen wird, innerhalb von vier Stunden ohne Gerichtsbeschluss zu sperren. Erst anschliessend muss die Justiz eingeschaltet werden, die laut dem Gesetz innerhalb von drei Tagen über die Rechtmässigkeit der Massnahme befindet.
Beobachter in Ankara erwarten, dass die AKP vor der anstehenden Parlamentswahl am 7. Juni einen noch nationalistischeren Kurs steuern wird, um rechtsgerichtete Wähler anzusprechen. Die Partei strebt bei eine Zwei-Drittel-Mehrheit an, die ihr Verfassungsänderungen ermöglichen würde.