Beim Jahrestreffen des Europarats in Wien beraten heute Dienstag 30 Aussenminister über die Ukraine-Krise. Erwartet werden dazu auch Russlands Chefdiplomat Sergej Lawrow und sein ukrainischer Amtskollege Andrej Deschtschiza.
Suche nach neuen Wegen
Drei Wochen vor der Präsidentenwahl in der Ex-Sowjetrepublik sucht die internationale Staatengemeinschaft neue Ansätze zur Lösung der Krise, weil die Übergangsführung in Kiew die Kontrolle über Landesteile im Osten verloren hat und dort bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen.
Deutschlands Aussenminister Frank-Walter Steinmeier schlug vor, noch vor dem Wahltermin am 25. Mai eine zweite Ukraine-Konferenz abzuhalten. Die Ergebnisse des ersten Genfer Treffens Mitte April seien ein «wichtiger Zwischenschritt, aber ohne Zweifel nicht ausreichend» gewesen, sagte er im ZDF. Damals seien «keine Umsetzungsschritte» vereinbart worden. Deshalb plädiere er dafür, «den fehlenden zweiten Schritt jetzt noch zu machen».
Ashton in Washington
Die zwischen der EU, den USA, Russland und der Ukraine erzielten Genfer Vereinbarungen, darunter ein Gewaltverzicht und die Räumung besetzter Gebäude, werden bislang kaum umgesetzt. Die EU-Aussenbeauftragte Catherine Ashton will in Washington mit US-Aussenminister John Kerry über die Lage sprechen. Am Mittwoch reist dann der Vorsitzende der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der Schweizer Bundespräsident Didier Burkhalter, zu einem Gespräch mit Russlands Präsident Wladimir Putin nach Moskau.
Der Westen wirft Russland vor, nach Annexion der Schwarzmeer Halbinsel Krim auch im Osten und Süden der Ukraine separatistische Bestrebungen zu unterstützen. Moskau weist das zurück und fordert wiederum Kiew auf, den - wie es heisst - Krieg gegen das eigene Volk einzustellen. Und so muss das Aussenministertreffen des Europarats nach Einschätzung Lawrows bei der Umsetzung einer tiefgreifenden Verfassungsreform in der Ukraine helfen. Zudem müsse der Europarat Menschenrechtsverletzungen in der früheren Sowjetrepublik im Zuge des Machtwechsels untersuchen.
Heli-Besatzung überlebt Absturz
In der Ostukraine halten die Kämpfe zwischen Militär und prorussischen Aktivisten an. Bei Gefechten um die von Separatisten gehaltene Stadt Slawjansk erlitten beide Seiten Verluste. Ein Sprecher der selbst ernannten prorussischen Volksmiliz sprach am Montag von etwa 20 getöteten Aktivisten. Auch aufseiten der Regierungstruppen gab es Tote, wie Innenminister Arsen Awakow sagte. Aus seinem Ministerium verlautete, dass vier Einsatzkräfte getötet und 30 verletzt worden seien.
Prorussische Kräfte schossen in Slawjansk einen Kampfhubschrauber der ukrainischen Armee ab. Die Besatzung des Mi-24 habe den Absturz in einen Fluss überlebt und sei von einem Spezialkommando in Sicherheit gebracht worden, teilte das Verteidigungsministerium mit.
Warnung an Moskaus Adresse
In Slawjansk nördlich der Gebietshauptstadt Donezk sind seit Tagen ukrainische Soldaten mit Panzerfahrzeugen und Hubschraubern im «Anti-Terror-Einsatz». Die 125'000 Einwohner zählende Stadt ist strategisch bedeutsam und ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt. Die dortigen Separatisten rühmten sich, den Angriff der Regierungstruppen zurückgeschlagen zu haben. Innenminister Awakow räumte ein, dass etwa 800 bewaffnete Separatisten Stellungen halten.
Trotz «Anti-Terror-Einsätzen» auch in anderen Regionen rechnet die Übergangsregierung in Kiew kaum noch damit, die von Separatisten beherrschten Gebiete zurückzugewinnen. Interimspräsident Alexander Turtschinow machte dafür Russland verantwortlich und warf Moskau Kriegstreiberei vor. Russland versuche die Lage vor der Präsidentenwahl am 25. Mai «völlig zu destabilieren». Steinmeier warnte Russland davor, diese Wahl zu torpedieren. Russland könne selbst kein Interesse daran haben, dass sein Nachbarland «völlig kollabiert».
Russische Wirtschaftszweige im Fadenkreuz
Unterdessen wollen sich die USA mit ihren europäischen Verbündeten über weitere Sanktionen gegen Russland wegen der Ukraine-Krise abstimmen. Staatssekretär David Cohen aus dem US-Finanzministerium beginnt dazu eine viertägige Reise nach Deutschland, Frankreich und Grossbritannien. Dabei soll es auch um mögliche Strafmassnahmen gegen ganze russische Wirtschaftszweige gehen, wie das Finanzministerium in Washington mitteilte.
Die Energieminister der sieben führenden Industriestaaten beraten auch heute Dienstag bei einem Sondertreffen in Rom über Alternativen zu der starken Energieabhängigkeit von Russland. Kanada und die USA hatten sich als zuverlässigere Partner bei der Gasversorgung angeboten, allerdings ist der Aufbau einer Versorgung mit Flüssiggasimporten aus Nordamerika kompliziert und teuer. Die EU-Staaten beziehen rund 35 Prozent ihrer Importe an Rohöl und 30 Prozent der Erdgas-Importe aus Russland.