- Artikel 4 spricht den Islam-Gelehrten des Al-Azhar-Institutes in Kairo die Interpretationshoheit in Fragen des islamischen Rechts («Scharia») zu. Dies war bisher den Richtern vorbehalten. Da die Verfassung zudem festlegt, dass «die Prinzipien der islamischen Scharia die Hauptquelle der Gesetzgebung sind», erhalten die Religionsgelehrten so Einfluss auf die Gesetzgebung.
- Artikel 10 stellt fest, dass die Religion, der Patriotismus und die Moral die Grundlagen der ägyptischen Familie sind. Diesen «wahren Charakter der ägyptischen Familie» soll der Staat schützen. Kritiker meinen, dass dieser Artikel von den staatlichen Institutionen benutzt werden kann, um den Bürgern einen von islamistischen Politikern propagierten Lebensstil aufzuzwingen.
- Nach Artikel 44 ist es verboten, Propheten oder Gesandte Gottes zu beleidigen. Atheisten und säkulare Ägypter befürchten, dass es künftig noch mehr Verurteilungen wegen Beleidigung der Religion geben wird.
- Artikel 53 legt fest, dass es für jede Berufsgruppe nur eine Gewerkschaft geben darf. Damit schiebt man der Gründung unabhängiger Gewerkschaften, die sich der Kontrolle durch die Regierungsparteien entziehen, einen Riegel vor.
- Artikel 232 schliesst alle führenden Mitglieder der ehemaligen Regierungspartei NDP für zehn Jahre vom politischen Leben aus. Dies betrifft nicht nur führende Funktionäre der Partei, sondern auch ehemalige Parlamentarier. Einige Ägypter meinen, dass die Islamisten dieses Verbot erlassen wollen, um die Zahl ihrer Konkurrenten bei den kommenden Wahlen zu reduzieren.
Der Verfassungsprozess hat im Land einen erbitterten Machtkampf ausgelöst zwischen Muslimbruderschaft und Salafisten auf der einen Seite und Liberalen, Linken, Christen und ehemaligen Regierungsbeamten auf der anderen. Auch wenn es die offiziellen Zahlen erst am Montag gibt, zeigt sich ein klares Nord-Süd-Gefälle.
Drei Provinzen gegen Verfassung
Je weiter man sich von den Protestzentren Kairo und Alexandria in Richtung Süden entfernt, umso deutlicher ist das Votum: In Oberägypten, wo die ärmsten Menschen leben und jeder zweite nicht lesen und schreiben kann, befanden vier von fünf Wähler die neue Verfassung für gut.
Nahe der Hauptstadt hingegen ist die Bevölkerung gespalten. Der Einfluss der Opposition, die den Verlust von Freiheitsrechten befürchtet, wird stärker. Das gilt auch für das Nildelta, das nördlich von Kairo beginnt.
So stimmte nach der Provinz Gharbija nun in der zweiten Runde auch die Deltaregion Menufija mit rund 51 Prozent gegen den Entwurf. Mit Kairo zusammen sind es also drei Provinzen, die aus dem Trend ausscheren.
Hoffnung auf Stabilität
Menufija hatte in Ägypten schon immer einen Sonderstatus. Gleich zwei Staatsoberhäupter wurden dort geboren: Anwar al-Sadat (1918- 1981) und der vor fast zwei Jahren entmachtete Mubarak.
Die Bewohner aus der Provinz gelten als die Nutzniesser des alten Systems. Auf die Zeit der Massenerhebungen sind viele Menschen dort wiederum nicht gut zu sprechen.
Einen anderen Ruf hat Gharbija, wo die traditionell revolutionär geprägte Arbeiterstadt Mahalla al-Kubra mit ihrer Textilindustrie liegt. Die Bewohner des Ortes haben sich schon unter Mubarak aufgelehnt und machten in den vergangenen Wochen mit vielen Protestaktionen auch gegen Mursi und die Muslimbruderschaft mobil.
Doch dies sind nur die Ausreisser bei dem Referendum um die Zukunft Ägyptens. Die Mehrheit der 27 Provinzen geht mit den Islamisten konform, wünscht sich mehr Scharia und weniger Unruhen. Und so verkündete am Sonntag die staatliche Zeitung «Al-Akhbar» nach der Abstimmung das, was in dem krisengebeutelten Land viele hoffen: eine Wiederkehr der Stabilität in Ägypten.