SRF News: Was halten Sie insgesamt von den Aussagen von Jean-Claude Juncker?
Anja Klug: Der UNHCR begrüsst Junckers Vorschläge. Er greift einige der Vorschläge auf, die wir anlässlich der letzten Flüchtlingskatastrophen gemacht haben. Wir würden nun gerne sehen, dass sich das auch konkretisiert.
Zur legalen Migration: Wie sieht so etwas in den Augen des UNHCR aus?
Zum einen gibt es das klassische UNHCR Ressetlement-Programm. Darunter versteht man die Weiterwanderung von Flüchtlingen, die nicht in Erstaufnahme-Ländern verbleiben können und von unserer Organisation weitervermittelt werden. Wie beispielsweise die Schweiz sich entschlossen hat, 2000 Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen. Weitere Möglichkeiten sind humanitäre Visa-Programme oder Familienzusammenführungen.
Zentral ist: Die verschiedenen Programme sprechen verschiedene Personenkreise an. Das Ressetlement-Programm ist gedacht für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge. Dagegen sind es häufig junge Leute, die weder traumatisiert sind noch besondere Verletzungen haben, die über gefährliche Routen wie das Mittelmeer versuchen, nach Europa zu kommen. Wenn diese besondere Qualifikationen besitzen, gäbe es etwa die Möglichkeit, dass sie durch Arbeitsmigration-Programme nach Europa kommen.
Die Position des UNHCR wäre dann, alle aufzunehmen oder gewisse Leute auch wieder zurückzuführen?
Wir wollen sicherlich nicht alle Leute in Europa aufnehmen. Flüchtlingsschutz soll überall auf der Welt möglich sein und nicht nur in Europa. Deswegen ist es wichtig, die Schutzsysteme in den Ländern der betroffenen Regionen zu unterstützen. Im Falle des Syrien-Konflikts etwa in Libanon, Jordanien oder der Türkei. Wenn es um Personen geht, die bereits in ein Europa sind, ist es wichtig, zwischen Schutzbedürftigen und solchen zu unterscheiden, die aus wirtschaftlichen Gründen gekommen sind.
Bei denjenigen, die schon in Europa sind, stellt sich die Frage: Welches Land nimmt wie viele von diesen Flüchtlingen auf? Dies scheint die wirkliche Knacknuss zu sein. Sehen Sie das auch so?
Ja. Hinter der Frage nach Quoten steht die Frage nach der innereuropäischen Solidarität und Zusammenarbeit. Hier sehen wir grossen Nachholbedarf. Nur einige wenige europäische Länder sind betroffen von der aktuellen Situation. Darunter sind Länder wie Italien und Griechenland, in denen die Flüchtlinge ankommen und dann eben ihre Hauptzielländer. Daneben gibt es aber viele Staaten, die sich unserer Meinung nicht genügend an den gemeinsamen Problemen beteiligen. Vor diesem Hintergrund ist der Vorschlag von Jean-Claude Juncker zu verstehen. Man muss sich überlegen, wie man besser zusammenarbeiten und den Flüchtlingsschutz in Europa gewährleisten kann.
Welche Chancen geben Sie Junckers Vorstoss in der Realpolitik?
Das ist eine gute Frage. Solche Vorschläge sind schon in der Vergangenheit immer wieder auf den Tisch gebracht worden. Bislang haben sie jedoch nie die Unterstützung von genügend Staaten gefunden. Wir sind skeptisch, ob solche Massnahmen der europäischen Solidarität dann auch die nötige Unterstützung bekommen.
Was kann der UNHCR dazu besteuern? Wie können Sie etwa den britischen Premier David Cameron überzeugen, der sagte, «wir schicken Schiffe, aber wir nehmen keinen einzigen Flüchtling mehr auf»?
Wir stehen in ständigem Dialog mit allen europäischen Staaten. Wir weisen auch immer wieder darauf hin, dass europäische Solidarität nicht nur den stark betroffenen Staaten hilft. Sie liegt im Interesse aller europäischen Staaten. Die EU-Staaten arbeiten schon seit langer Zeit an einem gemeinsamen europäischen Asylsystem. Hier gab es in den letzten 10 bis 15 Jahren enorme Fortschritte. Aber wir sind weit davon entfernt, ein wirklich gemeinsames System zu haben. Ein solches wäre aber zentral, um eine glaubwürdige Flüchtlingspolitik zu betreiben.
Das Gespräch führte Philippe Chappuis.