SRF News: Kehrt nach den turbulenten Wochen in Griechenland mit der Wiederöffnung der Banken nun wieder so etwas wie Normalität ein?
Corinna Jessen: Von Normalität ist der griechische Bankenalltag noch weit entfernt. Um einen Banken-Run zu verhindern, bleiben die Kapitalverkehrskontrollen nämlich fast unverändert bestehen. Zwar dürften die Schlangen vor den Geldautomaten kleiner werden, da die Kunden ab nächster Woche ihre täglichen 60 Euro auch gebündelt einmal pro Woche abheben können.
Doch sind Geldüberweisungen ins Ausland weiter nur mit einer Sondergenehmigung möglich – etwa für den Unterhalt von im Ausland studierenden Kindern oder für Behandlungszwecke im Krankheitsfall. Unternehmen hingegen, können ihre ausländischen Lieferanten noch immer nicht bezahlen. Das ist wohl das grösste Problem.
Heute tritt die höhere Mehrwertsteuer in Kraft. Viele Produkte und Dienstleistungen werden schlagartig teurer. Wie sieht das konkret aus?
Zu den teurer werdenden Produkten gehören auch viele Lebensmittel wie Rindfleisch, abgepackte Wurstwaren, Kaffee und Konfitüre. Es herrscht grosse Verwirrung darüber, welche Nahrungsmittel zu welcher Kategorie gehören: So kann zum Beispiel die Paprikaschote mit 13 Prozent Mehrwertsteuer belastet werden, wenn sie frisch verkauft wird. Zubereitet in Fertiggerichten aber lässt sie deren Mehrwertsteuersatz auf 23 Prozent steigen. Betroffen sind auch alle Transportkosten, auf die ab heute eine Mehrwertsteuer von 23 Prozent erhoben wird. Mit Blick auf Inlandflüge und Fähren ist diese Erhöhung insbesondere für die Inselbewohner sehr hart.
Der Staat verspricht sich von der Erhöhung der Mehrwertsteuer 1,8 Milliarden Euro Einnahmen. Doch bisher hat sich immer wieder gezeigt, dass solche Massnahmen auch die Steuerhinterziehung und die Schattenwirtschaft erhöht haben.
Niemand rechnet hier mit einem Umschwung für die kommenden Monate und Jahre.
Bis jetzt ist unklar, ob Griechenland seine Schulden bei der europäischen Zentralbank begleichen kann oder nicht. Was wissen Sie darüber?
Die Brückenfinanzierung von 7,2 Milliarden Euro scheint in trockenen Tüchern zu sein. Damit kann Griechenland die 4,2 Milliarden Euro, die das Land der EZB schuldet, bezahlen.
Allerdings wird es danach schon wieder knapp: Für die Bezahlung der Löhne und der ausstehenden Rate an den IWF von ungefähr 1,6 Milliarden Euro könnte es nicht reichen, wenn die Verhandlungen über das dritte Hilfspaket nicht bis Mitte August abgeschlossen sind. Bereits wird über einen neuen Brückenkredit nachgedacht. Wo der herkommen soll, weiss allerdings niemand. Im Gespräch sind sowohl bilaterale Kredite als auch komplizierte Umschuldungen.
Wie ist die Stimmung in Athen nach diesen aufreibenden Wochen?
Der gemeinsame Stimmungs-Nenner lautet: «Es wird alles immer noch schlimmer.» Niemand rechnet hier mit einem Umschwung für die kommenden Monate und Jahre. Die Griechen wissen, dass ihnen weiter schwere Zeiten ins Haus stehen. Diese Ernüchterung hat sich vor allem nach dem Referendum vom 5. Juli breit gemacht. Da wurde klar, dass das starke Nein zu Sparauflagen tatsächlich den Austritt aus der Euro-Zone bedeuten würde.
Die Wut auf die Kreditgeber, die nach der Wahrnehmung vieler Schuld an den harten Auflagen sind, gärt sehr stark unter der Oberfläche. Ministerpräsident Alexis Tsipras hat diesen Buhmann lange genug aufgebaut. Auch sind die Griechen keineswegs sicher, dass ein «Grexit», also ein Austritt aus der Eurozone, endgültig vom Tisch ist. Die Unsicherheit hält also weiter an. Innenpolitisch dürften spätestens im Herbst Neuwahlen anstehen. Es liegen weitere ereignisreiche Wochen vor uns.
Das Gespräch führte Barbara Peter.