Im Jahr 2013 wurden in El Salvador 2490 Menschen ermordet worden. Dies sind laut der salvadorianischen Polizei knapp 40 Morde auf 100‘000 Einwohner. Der Vergleich zur Schweiz: 0,7 auf 100‘000.
Die Menschen in El Salvador starben, weil sie feindliches Territorium betraten, das Erpressungsgeld nicht bezahlten oder zur falschen Zeit am falschen Ort waren – die meisten Toten wurden Opfer der Bandenkriminalität.
Anfang des Waffenstillstands
Eine erschreckend hohe Opferzahl. Aber noch erschreckender – 2490 ist die tiefste Zahl seit 2003. Noch 2011 wurden doppelt so viele Menschen umgebracht. Die abrupte Verbesserung kam im März 2012: Die zwei grössten Banden im Land, die aufs Blut verfeindete Mara Salvatrucha und die Bande Barrio 18, handelten einen Waffenstillstand aus.
Die Führer, die in den Gefängnissen sassen, befahlen ihren Leuten auf der Strasse, nicht mehr zu töten. Im Gegenzug erhielten die Häftlinge von der Regierung bessere Haftbedingungen – die Führung der Banden etwa wurde aus dem Hochsicherheitstrakt gebracht und in weniger abgesicherte Gefängnisse verlegt. Dies damit sie ihren Befehl für ihren Gangmitgliedern auf der Strasse besser kommunizieren konnten. Es hat funktioniert: Mit dem Waffenstillstand sank die Mordrate innert Kürze von 14 auf 5 pro Tag.
Funes hat Angst, dass seine Partei FMLN vom Stimmvolk die Quittung erhält.
Die Banden kontrollieren ganze Armenviertel in den Städten oder verschiedene Provinzen. Offiziell gibt es 60‘000 Bandenmitglieder – aber ganze Familien hängen im System mit drin. Schätzungsweise eine halbe Million Bewohner leben in El Salvador von kriminelle Geschäften. Grösste Einnahmequellen sind der lokale Drogenverkauf und Bestechungsgelder.
«Sie müssen sterben wie Tiere»
Zwar töten sich die Bandenmitglieder heute weniger. Trotzdem hat der Waffenstillstand in der Bevölkerung einen schweren Stand. «Die Schutzgelderpressungen gehen weiter, die Leute haben immer noch Angst», erklärt José Luis Sanz von der digitalen Zeitung El Faro.
Die Gesellschaft habe nie wirklich an eine Rehabilitierung der Bandenmitglieder geglaubt. «Und sie haben so viel Schmerz verursacht. Das verhindert ein Umdenken in der Bevölkerung nicht von heute auf morgen», so Sanz. Die Regierung seinerseits habe in den vergangenen Jahren diese Ideologie angekurbelt: «Die Bandenmitglieder verdienen die grösste Strafe und können nicht rehabilitiert werden: Sie sind schlimmer als Tiere und müssen sterben wie Tiere».
Zickzackkurs
Es war und ist deshalb für die FMLN-Regierung schwierig zuzugeben, dass sie den Impuls für den Waffenstillstand im März 2012 gegeben hatte. El Faro hatte dies damals aufgedeckt und erhielt dafür im Oktober 2013 den Lateinamerikanischen Preis für Investigativen Journalismus IPYS. Der in zwischen entlassene Sicherheitsminister sowie der ehemalige Vizeminister für Sicherheit hatten Verhandlungen mit den Banden damals gegenüber El Faro bestätigt.
Doch Präsident Mauricio Funes hat einen Pakt mit den Banden vor wenigen Tagen erneut verneint. «Er hat Angst, dass seine Partei FMLN vom Stimmvolk die Quittung erhalten könnte – weil der Waffenstillstand unpopulär ist», ist Sanz überzeugt.
FMLNs grösster Herausforderer, Norman Quijano von der konservativen Partei Arena, hat nun vor der Wahl am Sonntag die Regierungspartei wegen der Verhandlungen attackiert. Doch auch Arena ist inkonsequent: Acht Bürgermeister, die der konservativen Partei angehören, haben den Waffenstillstand stets unterstützt als ein Instrument gegen die Epidemie von Toten. «Das sehen sie auch heute noch so. Aber während der Kampagne sind diese Stimmen verstummt», sagt der Journalist.
Vertrag ist auf Eis gelegt
Keine klare Stellung zum Waffenstillstand. Keine klare Stellung, was die Präsidentschaftskandidaten zu tun gedenken, um das Problem der Jugendbanden in den Griff zu bekommen. Die FMLN bleibt vage. Funes mit seinem Nachfolger Salvador Cerén verspricht laut Sanz einen Wandel in der Sicherheit, ohne klar zu sein, was dies heissen könnte.
Arena-Kandidat Quijano will die Unsicherheit mit Repression bekämpfen – den Waffenstillstand nicht unterstützen. Dabei gilt genau die Politik der Mano Dura (Harten Hand) von Anfang 2000 als gescheitert. Durch sie konnten sich die Banden vernetzen und wurden stärker.
Die Morde würden wieder auf ein viel höheres Niveau steigen – 20, 25 pro Tag.
Der Waffenstillstand ist seit ein paar Monaten «congelada» – eingefroren. Wie es die Bandenmitglieder nennen. Viele anfängliche Versprechen der Regierung seien nicht eingehalten worden. Durch die generierte Unzufriedenheit unter den Bandenmitgliedern ist die Zahl der Toten unterdessen wieder leicht angestiegen. «Aber sie ist noch nicht so hoch, wie vor dem Waffenstillstand», so Sanz. Für ihn ist klar: wenn der Waffenstillstand scheitert, gibt es wieder viel mehr Tote. Er weiss dies auch wegen eines direkten Gesprächs mit einem führenden Mitglied der Bande Barrio 18.
«Wenn der Waffenstillstand scheitert, werden die Morde nicht auf 14 ansteigen, wie vor zwei Jahren. Sondern auf ein viel höheres Niveau – 20, 25 pro Tag», sagt der Mann im Interview mit El Faro vom 27. Januar 2014. Darin verspricht er aber gleichzeitig, keine neuen Leute zu rekrutieren, sofern der Staat und die Gesellschaft den Friedensprozess unterstützten.