Vor der heutigen Präsidentenwahl in Weissrussland haben am Samstag Hunderte in der Hauptstadt Minsk gegen Langzeitmachthaber Alexander Lukaschenko demonstriert. Er gilt als «Europas letzter Diktator».
Protest mit Europa-Fahnen
Am Vorabend der Wahl zogen Hunderte Regime-Gegner unter der Führung des Ex-Präsidentschaftskandidaten und ehemaligen politischen Gefangenen Nikolai Statkewitsch durch das Zentrum der Hauptstadt Minsk und forderten Lukaschenkos Rücktritt. Starke Sicherheitskräfte in Zivil begleiteten die nicht genehmigte Protestaktion, liessen die Teilnehmer aber gewähren.
«Es lebe Weissrussland» skandierte die Menge immer wieder. Viele Jugendliche waren unter den Demonstranten und forderten mehr Freiheiten in dem autoritären Land, das als letzter Staat in Europa die Todesstrafe vollstreckt. Vereinzelt schwenkten sie Europa-Fahnen.
Es kommt nicht darauf an, wer wählt, sondern wer die Stimmen zählt
Auch Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch kritisiert den Amtsinhaber scharf. Bei der Wahl in der früheren Sowjetrepublik werde Lukaschenko in jedem Fall wieder gewinnen, sagte sie.
Stalin sei in Weissrussland lebendiger als alle Lebenden. In Weissrussland komme es - nach einem Spruch Stalins - nicht darauf an, wer wähle, sondern wer die Stimmen auszähle.
Auf lange Sicht rechne sie nicht mit einem Ende der Diktatur in ihrer Heimat, sagte Alexijewitsch in Berlin. Der weissrussischen Schriftstellerin war am Donnerstag der Nobelpreis für Literatur zuerkannt worden.
Fünfte Amtszeit
Der 61jährige Lukaschenko strebt bei der Wahl eine fünfte Amtszeit an. Er regiert das Land mit knapp zehn Millionen Einwohnern seit 1994. Den anderen Bewerbern - einer Vertreterin der Opposition und zwei als regimetreu geltenden Kandidaten - werden keine Chancen eingeräumt. Wahlberechtigt sind etwa sieben Millionen Menschen.
2010 hatte die Wahlkommission Lukaschenko knapp 80 Prozent der Stimmen zugesprochen. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hatte die Wahl als undemokratisch kritisiert.
Präsident hofft auf Lockerung der Sanktionen
Danach hatte Lukaschenko Proteste niederschlagen lassen und viele Gegner ins Gefängnis gesteckt. Die EU verhängte Sanktionen. Dieses Mal ist die Lage im Land aber weniger gespannt. Die EU und die USA verhängten Sanktionen.
Lukaschenko hofft auf eine Lockerung der Strafmassnahmen, wenn die heutige Wahl ohne Zwischenfälle abläuft und von Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nicht zu scharf kritisiert wird.
Wahl als Testfall
Im politischen Berlin sieht man die Wahl als Testfall: «Unsere Erwartung ist, dass sich Repressionen wie 2010 nicht wiederholen dürfen. An einer Intensivierung des Dialogs zwischen der EU und Weissrussland müssen beide Seiten ein Interesse haben», hiess es aus dem Auswärtigen Amt.
Im Vorfeld der Wahlen hatte Deutschlands Aussenminister Frank-Walter Steinmeier mit seinem weissrussischen Amtskollegen Wladimir Makej telefoniert.
Für die Freiheit braucht es freie Menschen und die gibt es noch nicht
«Für die Freiheit braucht es freie Menschen und die gibt es noch nicht», sagt Nobelpreisträgerin Alexijewitsch über ihre Heimat. Zudem habe sich die Opposition selbst durch internen Streit und Eitelkeiten geschwächt. «Das ist einer der Gründe, warum ich mich nicht der Opposition zugehörig fühle», erklärt sie.
«Samtene Diktatur» in Minsk
Skeptisch äussert sich die Journalistin und Schriftstellerin zu einer möglichen Aufhebung der Sanktionen. Lukaschenko wende sich derzeit Europa zu, weil er kein Geld von Russland bekomme. «Das ist aber nur ein Spiel. Er wird sich wieder abwenden. Das hat er schon mindestens fünfmal so gemacht», warnte sie.
Die wirtschaftliche Lage sei tatsächlich sehr schwierig. «Dennoch wird er keine Privatisierung dulden, weil klar ist, dass er dann seine Macht teilen müsste», betont Alexijewitsch. Sie spricht von einer «samtenen Diktatur». Zwar habe der Präsident inzwischen viele Gefangene wieder freigelassen, das Volk werde jedoch ständig «betrogen und beraubt» sowie ideologisch beeinflusst.
Wahlbetrug befürchtet
Sorgen bereitet Wahlbeobachtern, dass nach Behördenangaben von Dienstag bis Samstag schon etwa 30 Prozent der Wähler ihre Stimmen abgegeben hätten. Diese vorzeitige Wahl gilt als anfällig für Manipulationen. Auf Angestellte von Staatsbetrieben, Studenten oder Spitalpatienten werde Druck ausgeübt, schon vor dem Wahltag abzustimmen.
Auch Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) haben immer wieder Sicherheitslücken bei der vorzeitigen Stimmabgabe kritisiert.