Es ist ein grotesker Abgang gewesen, den Wladimir Putin am G20-Gipfel in Brisbane hingelegt hat. Und er zeigt exemplarisch, wie weit mittlerweile West und Ost auseinandergedriftet sind.
Putin verliess den Gipfel demonstrativ früher als alle anderen Staatschefs. Die Begründung: Er müsse am Montag wieder arbeiten. «Mein Flug nach Moskau dauert 18 Stunden. Dann muss ich nach Hause und am Montag wieder zurück zur Arbeit. Zuvor braucht man 4 bis 5 Stunden Schlaf», sagte Putin.
Auch politisch tanzte Putin während zwei Tagen in Brisbane aus der Reihe. Eine Annäherung mit dem Westen kam einmal mehr nicht zustande. Im Gegenteil: Die gegenseitigen Schuldzuweisungen sind schärfer geworden – die eigenen Werte wurden noch deutlicher akzentuiert.
Heftige Kritik von Angela Merkel
Als Putin schon längst wieder auf dem Heimflug nach Moskau war, übte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ungewohnt schonungslose Kritik am russischen Präsidenten.
Merkel warf Putin eine Annexionspolitik vor, mit der er auf das Recht des Stärkeren setze. Russland habe die Krim völkerrechtswidrig annektiert und setze seine Einflussnahme in der Ostukraine fort: «Das stellt nach dem Schrecken zweier Weltkriege und dem Ende des Kalten Krieges die europäische Friedensordnung insgesamt infrage.»
Merkel warnte davor, dass Putin eine solche Politik auch gegenüber Ländern wie Moldawien, Serbien oder Georgien betreiben könnte: «Die Ukraine-Krise ist wahrlich keineswegs allein eine regionale Angelegenheit. Nein, an diesem Beispiel sehen wir: sie betrifft uns alle.»
Ein militärisches Eingreifen schloss indes Merkel aus. «Wir lassen nichts unversucht, in Gesprächen mit Russland zu einer diplomatischen Lösung des Konflikts zu kommen.» Europa habe eine grosse Wirtschaftskraft, «deshalb sollten wir sie an dieser Stelle einsetzen».
«Russland hat nicht gegen Völkerrecht verstossen»
Putin seinerseits verteidigte sich in einem am Sonntagabend in der ARD-Sendung «Günther Jauch» ausgestrahlten Interview. «Ich bin fest davon überzeugt, dass Russland gegen das Völkerrecht in keiner Weise verstossen hat», erklärte Putin.
«Unsere Streitkräfte, sagen wir es offen, haben die ukrainischen Streitkräfte blockiert, die auf der Krim stationiert waren. Aber nicht deswegen, um jemanden dazu zu zwingen, zu den Wahlen zu gehen, sondern deshalb, um Blutvergiessen zu vermeiden.»
Im Gegensatz zum Kosovo, wo die Unabhängigkeit nur durch Parlamentsbeschluss erklärt worden sei, habe es auf der Krim ein Referendum gegeben, bei dem sich eine überwältigende Mehrheit für die Aufnahme durch Russland ausgesprochen habe, sagte Putin.
In Fragen der Selbstbestimmung sei ein Volk, das auf einem bestimmten Territorium lebe, nicht verpflichtet, die Zentralregierung des Staates nach deren Meinung zu fragen.
Neue Sanktionen in der Pipeline
Den Westen lassen Putins Argumente indes kalt. Bereits wird am heutigen EU-Aussenministertreffen in Brüssel über neue Sanktionen im Ukraine-Konflikt beraten. Geprüft wird, weitere prorussische Separatisten aufzulisten.
Bisher hat die EU Einreiseverbote gegen mehr als hundert Personen aus über 20 Einrichtungen und Unternehmungen ausgesprochen. Die entsprechenden Vermögen sind eingefroren worden.
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Gefahr «ungewollter Eskalation»
Selbst die BRICS-Staaten China Brasilien und Indien gingen mittlerweile auf Distanz zu Russland, was Putin am Gipfel wahrscheinlich überrascht habe, stellt Oliver Meier von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) fest.
Die zunehmende Isolierung Russlands berge die Gefahr einer ungewollten Eskalation. Denn Hardliner in Russland könnten zunehmend auf die militärische Karte setzen, um Stärke zu demonstrieren – auch mit nuklearer Abschreckung. Moskau habe in den vergangen Wochen und Monaten mit Tests nuklearfähiger Systeme bereits die Muskeln spielen lassen. Gegen 40 Zwischenfälle mit gefährlichen Situationen zeugten davon.
Auf Wirtschaft und Politik setzen
Wenn die Kommunikationskanäle noch weiter abrissen, könne dies weder in russischem noch europäischen Interesse sein, unterstreicht Meier. Die Nato sollte deshalb Russland ein Angebot machen, die Krisenreaktionsmechanismen wieder in Kraft zu setzen. Ein mögliche Wiederaufwertung der Nuklearwaffen und ein erneuter Rüstungswettlauf müsse mit aller Kraft vermieden werden.
Verständlich und sinnvoll sei es, dass nun verschiedene ehemalige Ostblockstaaten von der Nato ein Zeichen der Rückversicherung erwarteten, sagt Meier weiter. Wie das geschehe, sei aber fraglich. Etwa, ob man von alten Grundsätzen abrücke, keine Atomwaffen auf deren Territorien zu stationieren. «Ich würde davon abraten und auf die eigenen Stärken im politischen und wirtschaftlichen Bereich setzen.»