Das Schlachtfeld ist Vergangenheit für Ricardo Suarez, aber sein neues Leben ist auch kein Schleck. Bei Rührei, Kaffee und Brot stärkt sich der frühere Farc-Rebell in der Cafeteria der Universität in Bogotá für die Strapazen eines langen Tags. Man hat etwas Mühe, in diesem kurzsichtigen und deutlich übergewichtigen Kolumbianer einen ehemaligen Guerillero zu erkennen. Aber das ist er.
Der 26-Jährige verschlingt sein Frühstück hastig – gleich bringt er einer Gruppe erwachsener Schüler Lesen und Schreiben bei. Es seien Guerilla-Aussteiger wie er selber, die jetzt den Schulabschluss nachholten. Anschliessend rede er zu Kindern aus armen Verhältnissen, um zu verhindern, dass sie sich die zu kurz gekommenen Jugendlichen von der Guerillero-Romantik verführen liessen, erklärt Suarez. Abends kehre er dann an die Uni zurück, als Student der Soziologie.
Solange der Frieden mit der Farc nicht wirklich in Kraft ist, läuft auch die Rekrutierung von neuen Kämpfern weiter.
Ricardo Suarez ist in einem der vielen Armenviertel am Stadtrand von Bogotá aufgewachsen. Die Entbehrungen haben ihn geprägt. Vieles müsse sich verändern in Kolumbien, fand und findet der ehemalige Guerillero. Mit 14 Jahren schloss er sich dem politischen Arm der Farc-Guerilla an. Ein gerechteres Kolumbien war sein Ziel.
Die Farc und der bewaffnete Kampf schienen Suarez das richtige Mittel für Veränderungen zu sein. Mit 20 war er an der Front – bis er sein Schlüsselerlebnis hatte: Einige der Guerilla-Kommandanten hätten Armbanduhren für 7000 Franken getragen und noch ganz andern Luxus zur Schau gestellt. Diese Widersprüche hätten ihn krank gemacht – und eines Tages sei er getürmt.
Eine Guerilla, die sich so in Szene setzt oder Zivilisten entführt, kann nicht für sich beanspruchen, wirklich für den sozialen Fortschritt zu kämpfen.
Die Regierung bezahlt Guerilla-Aussteigern zwar jeden Monat umgerechnet 500 Franken als Starthilfe. Sie berät die Aussteiger auch psychologisch und schaut zu vielem anderem. Aber sie müssen auf sich selber aufpassen, und einfach ist das nicht, wie Suarez sagt.
Er vermeide es, dort zu verkehren, wo er Sympathisanten der Guerilla vermute. Nie komme er zur selben Stunde nach Hause, nie nehme er denselben Weg.
Jeder, der vor der Farc abhaut, wird bis heute automatisch zur Zielscheibe der Guerilla, und muss also um sein Leben fürchten.
Der Prozess der Wiedereingliederung ist für den Städter Suarez einfacher als für Aussteiger, die nur den Urwald und die Berge kennen. Sie müssen erst mal lernen, dass ein Bus nur in eine bestimmte Richtung fährt, und was Fussgängerstreifen oder Verkehrsampeln sind.
Grossteil der Ex-Guerilleros fassen wieder Tritt
Trotzdem ist der Wiedereingliederungsprozess insgesamt sehr erfolgreich. 60‘000 ausgestiegene oder entwaffnete Guerilleros – vor allem die Mitglieder der rechtsextremen Todesschwadronen, die vor einem Jahrzehnt aufgelöst worden sind – haben ihre Rückkehr ins Zivilleben angepackt. Drei Viertel von ihnen haben den Sprung geschafft. Die anderen aber haben sich erneut gewalttätigen Gruppen angeschlossen. Ricardo Suarez findet, die Erfolgsquote könnte höher sein.
Ehemalige Guerilleros sind keine Monster, doch sie haben gegen viele Vorbehalte zu kämpfen. Für sie blieben viele Türen zu in Kolumbien.
Ein Happy End gebe es bestenfalls dann, wenn die Wirtschaft auch Guerilla-Aussteiger beschäftigen wolle – und das Friedensabkommen mit der Farc doch noch in Kraft trete.