Hunderte Tote haben die Rettungskräfte in der Stadt Dhaka in Bangladesch schon aus den Trümmern des eingestürzten achtstöckigen Hauses gezogen. Viele mehr könnten noch dazukommen. Trotz Rissen im Gebäude waren die Arbeiter mehrerer Textilfabriken zur Arbeit zitiert worden. Ein verhängnisvoller Fehler.
Dennoch: Die Textilherstellung in Bangladesch einfach sein zu lassen, ist keine Option. Dies sagt Oliver Classen, Mediensprecher der «Erklärung von Bern». Früher habe es ein Abkommen gegeben, das die Mindestmargen festgelegt habe. Wegen der globalen Liberalisierung sei der Standortwettbewerb in den letzten Jahren brutaler geworden. Man müsse immer schneller und billiger produzieren. Die Konditionen für die Fabrikbetreiber sowie für deren Angestellte würden immer schlechter.
Trotzdem haben die Arbeiter keine Wahl, sagt der freie Journalist Stefan Menschel im Interview mit Radio SRF. Über 50 Prozent der Bevölkerung in Bangladesch seien unterbeschäftigt oder gar arbeitslos. Wer einen Job habe und seine Familie ernähren müsse, tue fast alles, um den Job zu behalten. «Einige weigerten sich, in das Gebäude zu gehen. Doch die Manager haben sie gezwungen», so Menschel.
Unternehmen haben keinen Überblick
In Bangladesch sowie in weiteren Ländern in Südasien würden immer wieder Gebäude ohne behördliche Genehmigung gebaut. Diese werde im Nachhinein beantragt – oft durch Bestechung. Weil die Bauaufsicht fehle, würden ungeeignete Materialien verwendet, erklärt der Journalist.
Für Investitionen in den Brandschutz oder in die Gebäudesicherheit fehle wegen der miserablen Margen häufig das Geld, sagt Oliver Classen. «Manche Zulieferer gehen aber auch aus Profitgier kriminelle Sicherheitsrisiken ein.»
Welche Modemarken konkret in den Firmen im eingestürzten Gebäude produzieren liessen, ist laut Oliver Classen noch unklar. Deren Mutterhäuser wüssen oft selbst nicht oder wollten es nicht so genau wissen, wer unter welchen Bedingungen ihre Produkte näht. Sie geben die Aufträge einfach an Sub-Unternehmer im Land weiter.
Auf die Firmen könnten laut Classen grosse Imageprobleme zukommen. «Die Grossanbieter foutieren sich auch weiter um die Bezahlung Existenz sichernder Löhne», so Classen.
Mehr als Spekulation
«Es darf nicht sein, dass unsere Billigkleidung dort hunderte Tote fordert», sagt Oliver Classen. «Die aktuelle Katastrophe in Bangladesch ist industriell provoziert und eine direkte Folge der ‹Geiz-ist-geil-Mentalität› der Textilkonzerne.» Das Preisdruckargument könne keine Menschenrechte aufwiegen.
Jetzt müsse abgeklärt werden, welche Firmen in dem Gebäude hätten produzieren lassen. Man müsse die Unternehmen zur Verantwortung ziehen. «Und das wird auch geschehen.»