«Auch wenn jetzt über 90 Prozent Ja sagen zu der Verfassung; das heisst noch lange nicht, dass über 90 Prozent der Ägypter diese unterstützen. Die Gegner sind einfach nicht stimmen gegangen!» Dies sagt Korrespondent Pascal Weber in Kairo zu SRF News Online.
Er zweifelt das Ergebnis nicht an. Die Stimmung sei momentan tatsächlich sehr für den Kurs der Übergangsregierung unter Adli Mansur und insbesondere für Militärchef Abdel Fattah al-Sisi.
Seit der Absetzung des Muslimbruders und Präsidenten Mohammed Mursi im Juli 2013 gilt Sisi als der starke Mann in Ägypten, als Garant für Stabilität und Sicherheit. Dem Militär, welches seit Juli das politische Ruder in der Hand hält, ist viel an einer hohen Zustimmung gelegen.
Ihr Ziel: mehr Stimmen für ihre Verfassung als für die Mursi-Verfassung, über die im Dezember 2012 abgestimmt worden war. Das ist dem Militär gelungen, denn das Referendum über die ägyptische Verfassung unter den Islamisten erreichte lediglich 64 Prozent Zustimmung.
Bescheidene Wahlbeteiligung
Doch es gibt einen anderen Dämpfer: Die Beteiligung am Votum für das Militär war bescheiden – nach inoffiziellen Auszählungsergebnissen in 26 von 27 Provinzen nahmen 36,7 Prozent der Wahlberechtigten an dem Referendum teil. Das berichtete das regierungsnahe Nachrichtenportal «Al-Ahram». Offizielle Ergebnisse will die zentrale Wahlkommission bis zu diesem Samstag verkünden. Bei der Mursi-Verfassung gingen rund 33 Prozent an die Urnen.
Ein grosser Teil der Bevölkerung ist entweder dem Boykott-Aufruf der Muslimbrüder gefolgt oder hat aus einer anderen Überzeugung ihre Stimme verweigert. Wie auch etwa die Vertreter der 6. April-Bewegung. Die politische Gruppe hatte sich gegen das Mubarak-Regime aufgelehnt und sieht in der neuen Verfassung eine «Rückkehr zu einer neuen Diktatur».
Ihre Ideologie kann man nicht verhaften, wohl die Führer aber nicht Idee.
«Ägypten bleibt höchst polarisiert und gespalten», sagt Pascal Weber. Die kritischen Stimmen werden nicht von heute auf morgen verschwinden.
Der Versuch des Militärs, der Führung der Muslimbruderschaft durch Verbote den Kopf abzuschlagen, wird kaum gelingen. «Die Muslimbruderschaft hat in ihrer 80-jährigen Existenz schon mehrere kritische Momente überstanden. Sie werden sich diesmal vermutlich nicht so schnell erholen. Aber ihre Ideologie kann man nicht verhaften, wohl die Führer aber nicht Idee», so der Korrespondent.
Fahrt ins Ungewisse
Die Volksabstimmung über eine geänderte Verfassung war nun die erste Station im «Fahrplan für die Übergangszeit». Wie es weitergeht, ist noch unklar. Gemäss der neuen Verfassung darf der vom Militär eingesetzte Übergangspräsident Mansur wählen: zuerst Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen.
Wahrscheinlich ist, dass das Militär den guten Fahrtwind nutzt und nun zuerst den Präsidenten wählen lässt. Für ägyptische Beobachter wäre das eine Steilvorlage für General Sisi. Dieser hat sein Interesse an einer Kandidatur durchblicken lassen. «Es ist klar, wenn Sisi kandidiert wird er mit überwältigendem Mehr gewählt», denkt Weber.
Doch darüber würden sich nicht alle freuen, man höre auch kritische Stimmen aus dem Militär: «Auch sie wissen, wie schwierig es sein wird, das Land wirtschaftlich wieder auf die Beine zu bringen. Es gibt durchaus auch einzelne Militärs, die sich die Finger nicht verbrennen wollen. Jeder Präsident wird daran gemessen, wie gut es dem Land geht.»