Ein rostiges Schild flattert im Wind. Sonst regt sich nichts auf dem Güterbahnhof von Hairaton in der einst blühenden afghanischen Provinz Balkh. Die Luft ist gelb vom Wüstensand. Er wird vom Wind über die leeren Bahnwaggons, die Öltanks und Schienen in Richtung Grenzfluss nach Usbekistan geblasen.
Auf dem leeren Parkplatz warten Gulab Jan und drei seiner Freunde seit dem Morgen auf eine Ladung Schwefel aus Usbekistan. Diese sollen sie in eine Düngemittelfabrik in die Stadt Mazar-e-Sharif transportieren. Mickrige 30 Dollar werde er mit dieser Arbeit verdienen, klagt Gulab Jan: «Früher, als die Nato noch hier war, waren wir immer beschäftigt und verdienten 100 Dollar pro Tag. Heute sind es 50 Dollar - pro Monat.»
Vor ein paar Jahren arbeiteten hier mehr als 300 Afghanen nur für den Vertragsnehmer, der die Nato-Basen mit Lebensmitteln versorgte. Nun sind alle arbeitslos.
Jahrelang lag der Grenzübergang in Hairaton an der Lebensader der Militärbasen der Nato im Norden Afghanistans. Treibstoff, Fahrzeuge, Baumaterial, Nahrungsmittel: Alles kam über diesen Grenzübergang. Doch seit die Nato ihre offizielle Mission vor einem halben Jahr beendet hat, sei das Geschäft dramatisch eingebrochen, klagt auch Abdul Manan, der Chef der Bahnwagen-Sektion auf dem Umschlagplatz.
Nach dem Nato-Abzug kamen die Taliban
Die Provinz Balkh und insbesondere ihre Hauptstadt Mazar-e-Sharif galten in den letzten Jahren als prosperierendes und sicheres Wirtschaftszentrum des Landes. Der Provinzgouverneur Atta Muhammad Nur regiert seit über zehn Jahren wie ein König. Dank grosser Aufträge der internationalen Truppen und unbehelligt von Kabuls Machtelite wurde er in wenigen Jahren zum Multimillionär.
Doch nach dem Abzug der Nato-Truppen sind sowohl Geschäft, als auch Sicherheit im einst so blühenden Norden in Gefahr. Im vergangenen April stürmten Taliban-Kämpfer die Büros des Generalstaatsanwalts in Mazar-e-Sharif. Mehr als zehn Personen wurden getötet, Dutzende verletzt.
Früher investierten die Leute hier, weil es sicher war. Heute hat nur noch ein Viertel der 500 Baufirmen in Mazar-e-Sharif Arbeit.
Der wirtschaftliche Zerfall zeigt sich im ganzen Land. Durch die Aufträge der Nato-Truppen künstlich hochgehalten, wuchs das Bruttoinlandsprodukt 2009 um 21 Prozent. Im vergangenen Jahr waren es nur noch 2 Prozent. Es fehle an Infrastruktur, die Strompreise seien hoch, die Sicherheit miserabel, klagt Unternehmer Arash Youhosi, der auch der lokalen Handelskammer vorsteht. Viele Afghanen brächten ihr Geld aus dem Land und investierten es in Dubai oder der Türkei.
Hoffnung auf den Bildungssektor
Verloren geben mag Youhosi sein Land dennoch nicht. Hoffnung verspreche der Bildungssektor, sagt er: «In den letzten Jahren erlebten wir einen regelrechten Boom von privaten Hochschulen.»
Hochschulen wie die Aria Universität in Mazar-e-Sharif. Die grösste private Universität im Norden des Landes wurde 2008 von einem afghanischen Diplomaten und seinem Bruder gegründet. 3000 Studierenden werden hier ausgebildet, ein Drittel von ihnen Frauen.
«Private Hochschulen sind ein komplett neues Phänomen in Afghanistan», sagt der junge Akademiker Jamshid Fardi, während er in seinem medizinischen Labor ein Hirn-Modell auspackt. Bildung sei einer der grossen Erfolge der letzten Jahre.
Firmen, internationale Organisationen und die Politik brauchen Leute mit Hochschulabschluss, die wissen wie man mit Computern umgeht und Englisch spricht. Deshalb braucht es die privaten Unis.
Die internationale Gemeinschaft und die Regierung investierten zwar in Schulen und die Lehrerausbildung, aber die öffentlichen Universitäten können die neuen Schulabgänger nicht alle aufnehmen. Deshalb boomen die privaten Hochschulen. Ein gutes Geschäft, aber auch der Schlüssel für eine bessere Zukunft für viele Afghanen.