SRF News: Teilen Sie die Meinung, dass die Taliban weit weniger geschwächt sind, als angenommen wurde?
Thomas Ruttig: Das ist richtig. Diese Annahme war wohl eher propagandistischer Natur. Das wurde vor allem von der afghanischen Regierung verbreitet. Sie wünscht sich, mit einer geschwächten Taliban-Bewegung zu verhandeln, um selber eine bessere Ausgangsposition zu haben. Die Taliban und ihr neuer Chef, Mullah Mansur, haben aber gezeigt, dass sie immer noch in der Lage sind, zu kämpfen. Sie haben die nötigen militärischen Strukturen, um Anschläge durchzuführen. Sie sind immer noch mächtig. Die afghanischen Zivillisten bezahlen einen hohen Preis.
Sind die kürzlich verübten Anschläge der Taliban als Absage an die Friedensgespräche mit der afghanischen Regierung zu werten?
Kurzfristig ja. Längerfristig muss man es differenziert betrachten. Im seinem ersten Statement hat Mullah Omar den bewaffneten Kampf, den Dschihad, betont. Er hat aber ebenfalls gesagt, dass auch Gespräche zu diesem Dschihad gehörten. Allerdings denken die Taliban, dass sie mit den bewaffneten Kampf im Recht seien. Und die Betonung des Kampfes im Dschihad ist die gemeinsame Position. Die Frage, ob man auf Gespräche mit der afghanischen Regierung eintreten soll, hat zu Unruhen in den Reihen der Taliban geführt, und auch zu diesem Machtkampf.
Wie reagiert die afghanische Regierung auf die Eskalation der Gewalt?
Die Regierung hat sehr empört reagiert, wie auch breite Teile Bevölkerung. Es ist nur zum Teil so, dass die Taliban militärische Ziele angreifen. Die meisten Opfer sind Zivilisten. Die Taliban sind da nicht ganz ehrlich, wenn sie vorgeben, Leben und Gut der Bevölkerung schützen zu müssen. Das ist eindeutig nicht der Fall. Die afghanische Regierung hat sehr harsch reagiert und sie überdenkt nun, wie man in Zukunft Friedensgespräche führen will, nämlich über Pakistan oder nicht.
Das Gespräch führte Marlen Oehler.