SRF News: Sie sind zurzeit in Kabul, der Hauptstadt Afghanistans. Was ist vor Ort über den Tod von Mullah Omar zu hören?
Thomas Ruttig: Noch überwiegt der Zweifel. Man wartet auf eine Reaktion der Taliban, die bisher ausblieb. In den afghanischen Medien ist Erleichterung zu spüren. Es wird aber auch befürchtet, dass sich die Ankündigung des Todes negativ auf die Friedensverhandlungen auswirken könnte. Die Regierung hingegen sagt, dass die Voraussetzungen für die Gespräche nun besser seien.
Es heisst, Omar sei schon seit mehr als zwei Jahren tot. Weshalb hat Afghanistans Regierung so lange mit einer offiziellen Bestätigung des Todes gewartet?
Diese Frage stellt man sich hier auch. Sie ist einer der Gründe für die anhaltende Skepsis mit Blick auf die Ankündigung des Todes gestern Mittwoch. Am Nachmittag meldete die Regierung, es gebe Berichte über Omars Tod, man werde sie prüfen. Nur wenige Stunden später hiess es, man verfüge über verlässliche Informationen, wonach der Taliban-Anführer seit zwei Jahren Tod sei. Noch bevor sich der Präsident äussern konnte, bestätigte auch der Geheimdienst den Tod von Omar. Das ist ein bemerkenswerter Schwenker in der Informationspolitik. Denn noch im vergangenen Dezember hatte der Chef des Geheimdienstes in einem Interview mit US-Medien gesagt, er sei nicht sicher, ob Omar tot sei. Vielmehr gehe er davon aus, dass der Taliban-Anführer unter dem Schutz des pakistanischen Geheimdienstes lebe. Informationen – auch von Seiten der Regierung – sind in Afghanistan nicht immer sehr objektiv.
Weshalb haben sich die Taliban selber bisher noch nicht zum Tod von Omar geäussert?
Frühere Informationen über seinen Tod haben sie jeweils schnell und scharf dementiert. Vermutlich wollen sich die verschiedenen Strömungen der Taliban nun zuerst untereinander abstimmen. Einige befürworten Gespräche mit der afghanischen Regierung, andere sind dagegen. Auf der Internetseite der Taliban gibt es ein zwar ein neues Statement. Allerdings äussern sich die Taliban darin nicht zum Tod von Omar. Vielmehr verkünden sie, dass sie nichts von den für morgen Freitag angekündigten Gesprächen wüssten. Das heisst, dass die Taliban-Vertreter, die bei der ersten Gesprächsrunde vor drei Wochen dabei gewesen waren, nicht die offizielle Billigung der Taliban-Führung haben. Und es ist ein Zeichen für die Existenz verschiedener Strömungen.
Was bedeutet der Tod Omars für die Friedensgespräche?
Wenn er sich wirklich bestätigt, bedeutet das, dass Friedensgespräche sehr viel schwieriger werden. Zwar sagte die afghanische Regierung kürzlich, man sei zum ersten Mal mit den Taliban zusammengesessen. Wenn nun aber die Taliban auf ihrer Internetseite mitteilen, dass das nicht ihre Leute seien, die an den Gesprächen teilgenommen haben, dann ist das ein erheblicher Rückschlag. Zudem fiele mit dem Tod von Omar ein wichtiger Integrationsfaktor der Taliban weg. Er galt als Anführer der Gläubigen. Nun könnte es zu einem Streit um seine Nachfolge kommen, obwohl sie theoretisch eigentlich geregelt wäre: Es gibt einen offiziellen Stellvertreter, den Omar selber ernannt hatte. Er war auch an den Friedensgesprächen beteiligt, soll allerdings inzwischen verschwunden sein. Es wird also kompliziert und ob die nächste Gesprächsrunde wirklich stattfinden wird, steht nun erstmal in den Sternen.
Schwächt der Tod von Omar die Taliban?
Er schwächt sowohl die Taliban als auch die Aussichten auf einen Frieden. Denn wenn es unter den Taliban mehrere Strömungen gibt, dann wird es für Afghanistan schwierig, eine friedliche Lösung zu finden. Stimmt eine Gruppe einer Waffenruhe zu und eine andere kämpft weiter, verlieren die Gespräche ihre Bedeutung.
Das Gespräch führte Tina Herren.