Virginia Raggi geht am Sonntag in Rom als Favoritin in die Stichwahl zum Bürgermeisteramt. Gewinnt die 37-Jährige Rechtsanwältin, wäre das ein Sieg mit grosser Symbolkraft. Es wäre das erste Bürgermeisteramt für Cinque Stelle – und es wäre das erste Mal, dass in Rom eine Frau regiert.
Vor drei Jahren noch kannte niemand Virginia Raggi. Sie war Anwältin, Mutter, Hausfrau und setzte sich höchstens für eine Altglas-Sammelstelle vor ihrem Haus ein. Heute ist die sie ein Star. Tritt sie irgendwo auf, hat sie stets Dutzende Journalisten im Schlepptau. Raggis Aufstieg ist der eines Kometen, was auch mit ihrer Person zu tun hat. Sie wirkt ehrlich und authentisch.
Politisch unerfahren
Obwohl sie kaum politische Erfahrung hat, gaben ihr die Mehrheit der Römer im ersten Wahlgang zum Bürgermeisteramt vor zwei Wochen die Mehrheit der Stimmen. Das sagt nicht nur etwas über ihre Person aus, sondern auch viel über Raggis Gegner und den Zustand der «Ewigen Stadt». Die Cinque-Stelle-Politikerin weiss, dass viele Bewohner Roms verzweifelt sind, und sie spricht es auch offen aus. Vergewaltigt habe man Rom, seit Jahren. Schuld daran sei die üble Politik und die noch üblere Verwaltung. Virginia Raggi verspricht aufzuräumen.
Alle Rom-Kenner sagen, das sei eine Herkulesaufgabe und bezweifeln, dass Raggi diese bewältigen kann. Die Kandidatin selber zweifelt nicht: «Man muss einfache Dinge tun. Dinge des gesunden Menschenverstands. Das ist ein bisschen mein Projekt.» Das klingt zwar vage, doch Raggi kann die Diskussion auch konkret führen – etwa wenn es um Abfall geht. «In den Sammelbehältern für den Papierabfall finde ich immer wieder Zeitungen, die jemand in einem Plastiksack entsorgt hat. Plastik beim Papier! Oh mein Gott, denke ich jedes mal dabei.»
Ehrlicherweise muss man sagen, dass viele Römer ihren Abfall einfach irgendwo reinstopfen. Glas zum Papier, Karton zum Restmüll und umgekehrt. Es ist ein Rätsel, wie Raggi mit ihrer Abfalldisziplin beim Wahlvolk punktet. Vielleicht ist es tatsächlich die Frische, mit der sie ihre Anliegen vorbringt: «Mama, mach uns Velowege! Das fordert selbst mein Sohn.»
Lavieren beim Thema Korruption
Die meisten von Raggis Anliegen sind vernünftig und irgendwo im politischen Mainstream verortet. So spricht sie stundenlang über neues Rollmaterial für die Metro oder über die Vorfahrt von Bussen. In einer Stadt, wo die Busse so unzuverlässig sind, dass es nicht mal einen Fahrplan gibt, ist das sicher ein populäres Anliegen.
Nur sind die öffentlichen Verkehrsbetriebe und die Müllabfuhr mafiös unterwandert und wurden teilweise zu Selbstbedienungsläden für Politiker und ihre Klientel umfunktioniert. Als Bürgermeisterin müsste Raggi sich damit herumschlagen. Aber beim Thema Korruption ist sie bisher stets vage geblieben. Sie habe die Gewissheit, saubere Hände zu haben und niemandem etwas schuldig zu sein, sagte sie etwa. Das mag zutreffen, doch um diesen römischen Sumpf trockenzulegen, braucht es mehr und auch mehr Erfahrung.
Am Tropf der Parteileitung
Als Bürgermeisterin würde Raggi gewiss auch erfahrene Leute in ihr Team holen. Wer das konkret sein soll, werden Mitglieder des Movimento Cinque Stelle im Internet und das fünfköpfige Direktorium der Partei entscheiden. Sie selbst gehört nicht zum Direktorium, deshalb musste sie eine Vereinbarung eingehen und sich zu Strafzahlungen verpflichten, sollte sie als Bürgermeisterin von Rom gegen Entscheide dieses Direktoriums oder der Internetgemeinde verstossen.
Bisher hat Virginia Raggi stets das getan, was die Granden der Cinque-Stelle-Bewegung von ihr verlangten. Hätte sie auch nur einmal rebelliert, ihr Stern wäre wohl verglüht, ohne je so steil zu steigen.